Die Landgemeinden des Kreises

Von Paul Gebel +

Nachdem infolge der unglücklichen Grenzziehung im Jahre 1919 fast die Hälfte der Landgemeinden des Kreises an Polen abgetreten werden mußten, bestand der Kreis nur noch aus 51 Landgemeinden und drei Städten.

Die Größe der Landgemeinden

Die Größe war sehr unterschiedlich und belief sich flächenmäßig auf ca. 400 bis 3000 Morgen, die Einwohnerzahlen von ca. 250 bis 1800 je Gemeinde. Die Flächen des Großgrundbesitzes bestanden überwiegend aus Wald, Teichen und den landwirtschaftlich genutzten Flächen (welche als Vorwerke und Dominiums bezeichnet waren). Sie hatten eine Größe von ca. 400 bis 1200 Morgen aufzuweisen und lagen verteilt unter den Landgemeinden. Das Verhältnis zueinander war sehr gut. Die Bauern der Landgemeinden haben ihr Saatgut, Zuchtvieh usw. ausschließlich von den Betrieben des Großgrundbesitzes bezogen. Die Größen der landwirtschaftlichen Betriebe innerhalb der Landgemeinden bestanden vorwiegend aus Kleinbetrieben mit Wohnhaus und kleinen Wirtschaftsgebäuden mit einigen Morgen Land (Häuslerstellen genannt). Die Besitzer dieser Häuslerstellen waren als Handwerker, (Maurer, Zimmerleute, Ziegeleiarbeiter usw.) fast dreiviertel des Jahres auswärts beschäftigt. Der kleine landwirtschaftliche Nebenbetrieb wurde von den Ehefrauen und Kindern betreut, die außerdem noch während der Erntezeit bei den Landwirten des Ortes fleißig mithalfen.
Als nächste Größe kamen die kleinen Bauernstellen in Größen von 10 bis 50 Morgen. Diese führten die Bezeichnung Stellenbesitzer (bis 1918 auch Freistellenbesitzer genannt). Die kleineren dieser Stellen wurden mit Kuhgespannen, die mittleren mit einem Pferd bzw. zusätzlich einem Zugochsen und die größeren mit zwei Pferden bearbeitet. Die Pferdegespanne waren den Winter hindurch in der waldreichen Gegend viel mit Langholzfahren, das zu den Sägewerken zu bringen war, beschäftigt. Das brachte in der ruhigeren Jahreszeit einen guten Nebenverdienst.
Es folgten dann die Wirtschaftsgrößen von 50 bis 70 Morgen, die vor 1918 als Halbbauern bezeichnet wurden und schließlich die Betriebsgrößen von 70 bis 120 Morgen deren Besitzer dann die Bezeichnung Bauer führten. Letztere erreichten auch vereinzelt Größen bis zu 200 Morgen. Die Durchschnittsgrößen der landwirtschaftlichen Betriebe in den Landgemeinden waren Betriebe mit 50 bis 65 Morgen.
Die Durchschnittsbodenwertzahl der Betriebe in den Landgemeinden kann mit 35 bis 45 angegeben werden. Durch Strebsamkeit und besonderen Fleiß der Besitzer, machte auch das äußere Bild der Gemeinden einen recht guten Eindruck. Wohn- und Wirtschaftsgebäude waren sehr oft neu erbaut worden und man konnte fast von einem gewissen Wetteifern untereinander sprechen. Besonders zu erwähnen wäre auch der Neubau von befestigten Straßen. Er ergab sich aus der Notwendigkeit die durch die unglückliche Grenzziehung von 1919 durchschnittenen Verkehrsverbindungen wieder herzustellen. So wurde ein neues Netz von Straßen - soweit möglich aus den Mitteln der Osthilfe - gebaut, so gab es auch im Kreisgebiet nur noch ganz vereinzelt Landgemeinden, die keine befestigte Dorfstraße hatten. Anschluß an das Straßennetz war überall vorhanden. Diese neuen Straßen haben viel zur Hebung des Wohlstandes unserer Landgemeinden beigetragen. Auch die Errichtung und der endliche Neubau der Landwirtschaftsschule in Festenberg bedeutete einen großen Fortschritt.

Zur Gemeindeverwaltung

Bis 1918 wählte die Gemeindeversammlung den Gemeindevorsteher und die beiden Gemeindeschöffen. Die Gemeindeversammlung wurde durch den Gemeindevorsteher einberufen. Wahlberechtigt waren alle Personen von 21 Jahren, wählbar alle Personen von 25 Jahren, die in der Gemeinde ihren ständigen Wohnsitz hatten. Der Gemeindevorsteher ernannte aus den Reihen der Gemeindeversammlung einen Schriftführer. Es wurden weiße Zettel ausgegeben, worauf der Wahlberechtigte den Namen des Mannes schrieb, dem er als Gemeindevorsteher seine Stimme geben wollte. Der Wahlberechtigte faltete den Zettel und steckte ihn in eine Wahlurne. Die Person welche die meisten Stimmen erhielt war zum Gemeindevorsteher gewählt. Die Wahl der beiden Gemeindeschöffen wurden zu gleicher Zeit in derselben Weise vorgenommen. Das Amt des Gemeindevorstehers war ehrenamtlich. Er erhielt keinerlei Besoldung sondern lediglich eine je nach Größe der Gemeinde entsprechende kleine Dienstaufwandsentschädigung. Der Gemeindevorsteher war fast immer ein Landwirt der Gemeinde. Er und die beiden Schöffen wurden auf die Dauer von sechs Jahren gewählt. Es konnten nur vollkommen unbescholtene Personen gewählt werden. Wer mit einer Gefängnisstrafe belastet war schied von vornherein aus.
Jede Gemeinde hatte einen Gemeindeboten welcher auch zugleich den Dienst als Nachtwächter zu versehen hatte. Als Ausdruck seiner Würde und des Erkennens trug der Nachtwächter einen sogenannten Spieß (Holzstab mit aufgesetzter Eisenspitze) und ein Signalhorn mit lautem Pfeifton. Sein Dienst dauerte von 10.00 Uhr abends bis 4.00 Uhr morgens. Jede abgelaufene Stunde hatte er durch Pfeifen bekanntzugeben. Die Nachtwächter wurden ab und zu von dem zuständigen Gendarmeriewachtmeister, der in der nächsten Stadt seinen Standort hatte bei der Ausübung seines Dienstes kontrolliert. Im Durchschnitt hatte ein berittener Gendarm 15 Landgemeinden als einzige Polizeiperson in dem großen Bezirk zu betreuen.
Nach 1918 wurden die Gemeindeverwaltungen politisch aufgebaut. Die zugelassenen Parteien reichten Wahlvorschläge ein, auf denen die Namen von neun zu wählenden Gemeindevertretern und eine Anzahl Reservenamen aufgeführt waren. Mit dem Wahlalter blieb es bei der bisherigen Regelung, nur konnten jetzt auch die Frauen das gleiche Wahlrecht ausüben. In den meisten Landgemeinden wurde aber nur ein Wahlvorschlag eingereicht, denn das Interesse galt hauptsächlich den Personen die auf dem Wahlvorschlag aufgeführt waren. Die neugewählte Gemeindevertretung mußte nun in einem weiteren Wahlgang in geheimer Wahl den Gemeindevorsteher wählen. Bei Vorhandensein mehrerer Wahlvorschläge entschied ebenfalls die einfache Mehrheit. Das gleiche Verfahren galt für die beiden Gemeindeschöffen und die Ersatzschöffen. Die Wahlperiode dauerte vier Jahre. Als wir es in Deutschland am Ende der zwanziger Jahre auf 34 Parteien gebracht hatten, wurde öfter gewählt, mitunter auch alle Jahre. Das Amt des Gemeindevorstehers galt auch weiterhin als Ehrenamt ohne Besoldung.
Die bis 1918 bestehenden Gutsbezirke (die zum Gutsbezirk gehörenden Bewohner hatten damals an Stelle des Gemeindevorstehers der Landgemeinde den Gutsvorsteher als Amtsperson) wurden Anfang der zwanziger Jahre aufgelöst und den Landgemeinden zugeordnet. Die Gemeindevertretung trat mindestens vierteljährlich einmal, bei Bedarf auch öfter, zu einer Sitzung zusammen. Sie hatte den Haushaltsplan aufzustellen und über alle Obliegenheiten der Gemeinde zu beraten. Der Jahreshaushalt mußte von der Dienstaufsichtsbehörde (Kreisausschuß) genehmigt werden. Der Gemeindevorsteher war auch in den meisten Gemeinden zugleich Steuererheber somit Verwalter der Gemeindekasse und hatte für die Abführung der vierteljährlich abzuführenden Steuern an den Kreis zu sorgen. Am Schluß des Jahres hatte er der Gemeindevertretung die Jahresabrechnung vorzulegen. Danach wurde ihm Entlastung erteilt. Auch die Ausgabe der Invalidenkarten sowie die Aufrechnung derselben gehörte zu den Aufgaben des Gemeindevorstehers. In den Gemeinden die zum Zollgrenzgebiet gehörten (innerhalb von 9 km zur Landesgrenze) hatte der Gemeindevorsteher das Viehregister zu führen, in welchem sämtliches Rindvieh der Gemeinde nach Geschlecht, Alter, Farbe und Abzeichen verzeichnet war. Ein- und Abgänge wurden eingetragen und zum Transport Viehursprungszeugnisse ausgestellt. Der Gemeindevorsteher war auch zugleich Jagdvorsteher und hatte die Interessen der Jagdgenossen bei Verpachtung der Jagdnutzung, Abschätzung von Wildschäden usw. vorzunehmen. Jagdgenossen waren die Gemeindebewohner, Landwirte die Eigentümer von Land waren, das außerhalb von eingefriedeten Grundstücken lag. Jede Landgemeinde die eine zusammenhängende Fläche von 300 Morgen aufzuweisen hatte, stellte eine selbständige Jagdgenossenschaft dar. In den meisten Landgemeinden war bei gutem gegenseitigen Einvernehmen der angrenzende Großgrundbesitzer der Jagdpächter. Er sorgte bei seinen umfangreichen und zusammenhängenden Wald- und Feldflächen für eine gute Hege und Pflege der Jagd. Die Gemeinde hatte die Gewähr, daß die Jagd nicht durch unwaidmännische Jagdpächter ausgeplündert und damit wertlos wurde.
An der Stellung des Gemeindebotens und Nachtwächters hatte sich im wesentlichen zu der Zeit vor 1918 nichts geändert. Was die Polizeiaufsicht betrifft wäre zu bemerken, daß für denselben Bezirk (15 Landgemeinden) der bis 1918 von einem berittenen Gendarmeriewachtmeister betreut wurde, numnehr sechs Polizeibeamte angestellt wurden, welche in drei Landgemeinden und einer Stadt ihren Standort hatten, die Bezeichnung Landjäger trugen und mit einem Fahrrad als Beförderungsmittel ausgestattet waren. Zu erwähnen wäre noch, daß im Jahre 1932 die Flächen des Großgrundbesitzes, die bei der Auflösung der Gutsbezirke in den zwanziger Jahren, steuerlich gesehen im Bereich und Verrechnung aller steuerlicher Abgaben (wie Kreissteuern usw.) selbständig geblieben waren, nunmehr den angrenzenden Landgemeinden zugeordnet wurden. Dies brachte einerseits für die Landgemeinden einen großen finanziellen Vorteil, in dem alle Zuschläge zur Grundsteuer usw. der Gemeindekasse zufielen. Andererseits ging nunmehr die Armenfürsorge der Gutsbezirke auf die Gemeinden über. Zum Teil auch Wegelasten und Brückenunterhaltung soweit nicht abweichende Regelungen bestanden. Zur Armenfürsorge wäre noch zu sagen, daß der alte Brauch beibehalten wurde, wonach durch den Großgrundbesitz alljährlich zu Weihnachten an Wohlfahrtsfürsorgeempfänger und sonst alte, minderbemittelte Gemeindebewohner (früher Ortsarme genannt), für jede dieser Personen ein Stangenhaufen (ca. 4 Raummeter Brennholz) unentgeltlich zur Verteilung gelangte.
Die Landgemeinden waren auch in der Kreisverwaltung, in den Steuerausschüssen des Finanzamts, bei den Amtsgerichten und Landgericht gut vertreten, da aus ihren Reihen Landwirte in den Kreistag, Kreisausschuß, Steuerausschuß, ferner als Schöffen und Geschworene und als Mitglied in den Provinziallandtag und in den Preußischen Landtag gewählt wurden. Auch der Verband der Preußischen Landgemeinden war eine gute Einrichtung zur Beratung und Vertretung der Landgemeinden. Der Beitritt zu diesem Verband war freiwillig, sämtliche Landgemeinden des Kreises waren Mitglieder dieses Verbandes. Der Vorsitzende rief alljährlich die Gemeindevorsteher aller Landgemeinden zu einer Hauptversammlung ein in welcher alle interessierenden Berichte und Fragen behandelt wurden und in eingehender Aussprache neue Vorschläge gemacht wurden, die weitergeleitet wurden. Der Verband lieferte jedem Mitglied eine umfassende Zeitschrift in welcher alle Fragen einer ordnungsgemäßen Führung der Gemeindegeschäfte sowie alle Obliegenheiten zur Dienstaufsichtsbehörde, der Kreisverwaltung, zum Finanzamt sowie alle Rechtsfragen behandelt wurden. Der Verband genoß bei den Landgemeinden großes Vertrauen und diese Zusammenarbeit hat sich sehr zum Vorteil der Landgemeinden ausgewirkt.
Um das Bild über die Struktur, wirtschaftliche, politische und religiöse Verhältnisse, Stand von Handwerk und Gewerbe und inneres Leben der Landgemeinden zu vervollständigen, möchte ich die größte Landgemeinde des Kreises, den Marktflecken Goschütz sowie meine eigene Gemeinde Lichtenhain, deren beider Verhältnisse mir noch in guter Erinnerung sind, als Beispiele anführen und ausführlicher behandeln.

Die Landgemeinde Goschütz

die auch die Bezeichnung Städtel Goschütz trug, mit dem angrenzenden Ortsteil Mühlengrund (früher Troske) hatte ca. 1800 Einwohner. Goschütz war Marktflecken. Alle zwei Monate wurde dort Kram- und Viehmarkt abgehalten. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe betrug 26, dazu das Schloßvorwerk des Grafen von Reichenbach. Es hatte eine Größe von ca. 900 Morgen. Die Größe der bäuerlichen Betriebe lag zwischen 10 bis 85 Morgen. Goschütz machte tatsächlich den Eindruck eines kleinen Städtchens. Das jahrhundertealte, im Barockstil erbaute Schloß, mit großem Schloßhof und angrenzendem Park und Teich, war wirklich eine Sehenswürdigkeit (Besitzer Graf von Reichenbach). Leider ist dieser herrliche Bau einige Zeit nach dem Einmarsch der Russen niedergebrannt worden. Das Geschlecht der Grafen von Reichenbach war ein altes Adelsgeschlecht. Heinrich Graf von Reichenbach war bis 1918 führend in der Politik und war 22 Jahre hindurch Mitglied des Preußischen Herrenhauses. Als Major beim Leib-Kürassier-Reg. Nr. 1 in Breslau nahm er am Ersten Weltkrieg
Abb. 112
Kriegerdenkmal in Goschütz für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges (1914-1918)
teil. Ebenso alle seine vier Söhne, wovon drei gefallen sind. Bei der unglücklichen Grenzziehung im Jahre 1919 war es auch dem Eintreten des Grafen zu verdanken, daß nicht noch weitere Landgemeinden an Polen fielen. Ergänzend wäre hier noch zuzufügen, daß sich unser damaliger Landrat Detlev von Reinersdorff sowie die Prinzessin Biron von Curland und Dr. von Korn, Rudelsdorf, unermüdlich dafür eingesetzt haben, den Forderungen von Polen Einhalt zu gebieten.

Dr. von Korn hatte seinen Wohnsitz in der Landgemeinde Rudelsdorf. Er war ebenfalls führend in der Politik, gegen Ende des Ersten Weltkrieges war er Landrat unseres Kreises und nach 1918 ununterbrochen Kreisdeputierter, Mitglied des Kreistages und des Kreisausschusses und gewissermaßen die rechte Hand unseres Landrats von Reinersdorff, der in Ober-Stradam wohnhaft war.
Goschütz hatte zwei Kirchen, die evangelische Schloßkirche
Abb. 113
Katholische Kirche in Goschütz
und die katholische Pfarrkirche. Patron beider Kirchen war Graf von Reichenbach. Zu den Kirchgemeinden gehörten einschließlich Goschütz 12 Landgemeinden. Nach dem Ersten Weltkrieg in den zwanziger Jahren war an der Schloßkirche als Schloßprediger Pastor Ehrenforth tätig, ein führender Mann der Bekennenden Kirche in Schlesien, eine allseits geachtete und beliebte Persönlichkeit; später folgte Pastor Kaernbach. Der letzte Schloßprediger war Pastor Sonderhaus. Die evangelische Diakonissen-Krankenschwester Gertrud betreute die Kranken und erfreute sich bei allen Bewohner beider Konfessionen, auch in den umliegenden Gemeinden, großer Beliebtheit. Als Pfarrer an der katholischen Pfarrkirche war viele Jahrzehnte hindurch (vor dem Ersten Weltkrieg) bis 1919, der in Groß Wartenberg geborene Erzpriester Hojenski tätig. Er starb im Herbst 1919 und hat auf dem Friedhof neben der Pfarrkirche seine letzte Ruhestätte gefunden. Sein Nachfolger wurde Pfarrer Franzkowski, später ebenfalls zum Erzpriester ernannt. Er war wie sein Vorgänger ebenfalls gebürtiger Groß Wartenberger. Erzpriester Franzkowski war eine besonders geachtete und beliebte Persönlichkeit bei allen Bewohnern der Landgemeinden ohne Unterschied der Konfession. Die Neuerrichtung der katholischen Schwesternstation in Goschütz, die mit drei Ordensschwestern im eigenen Schwesternhaus, besetzt war, wovon eine Schwester zu den Gottesdiensten die Orgel spielte, war sein Werk. Die katholischen Ordensschwestern erfreuten sich in der Krankenpflege und ihrer Hilfsbereitschaft allgemein ebenfalls großer Beliebtheit.
Erzpriester Franzkowski war mit allen drei Ordensschwestern beim Einmarsch der Russen in Goschütz geblieben, um, wie er mir beim Abschied erklärte, die zurückbleibenden Gläubigen zu betreuen. Unter eigener Lebensgefahr (eine Ordensschwester wurde von den Russen erschossen), großen Schikanen von seiten der Polen und Entbehrungen, hatte er die Gläubigen beider Konfessionen betreut und auch beerdigt. Ein Jahr später mußte er selbst auf Veranlassung der Polen, seine Heimat zwangsweise verlassen. Er bekam in der damaligen Sowjetzone eine eigene Pfarrstelle, wo er zwei Jahre später, viel zu früh, im Alter von 65 Jahren, nach plötzlicher Erkrankung verstorben ist.
In Goschütz gab es zwei Schulen: eine evangelische und eine katholische Schule. Jede Schule war mit drei Lehrern besetzt. Es waren also Hauptlehrerstellen. Auf dem Platz in der Mitte des Ortes (Ring genant) stand ein eindrucksvolles Kriegerdenkmal, errichtet von dem Grabsteinfabrikanten Robert Schillheim, zu Ehren der Gefallen des Ersten Weltkrieges von Goschütz und den umliegenden Ortschaften. Alljährlich hielt vor diesem Denkmal der starke Goschützer Kriegerverein, dem auch Mitglieder aus den umliegenden Gemeinden angehörten, die Gedächtnisfeier, an der auch Graf von Reichenbach in seiner Friedensuniform als Kürassiermajor teilnahm. Der Kriegerverein Goschütz war ein alter Verein, der bereits im Jahre 1873 gegründet wurde. Nach dem Ersten Weltkrieg im Jahre 1922 übernahm Leutnant Heinrich (der spätere Oberstleutnant Heinrich beim Wehrbezirkskommando Oels) den Vorsitz und brachte den Verein auf eine Mitgliederzahl von ca. 200 Mann. Infolge Wegzugs von Leutnant Heinrich übernahm 1931 Tischlermeister Emner den Vorsitz. Der letzte Vorsitzende war der Kaufmann Bruno Bistry.
Goschütz hatte auch eine gut ausgerüstete und von Gustav Strauß gut geleitete Feuerwehr, die im Bedarfsfalle auch in den Nachbargemeinden immer rechtzeitig zur Stelle war. Das umfangreiche, moderne Sägewerk mit großem Baugeschäft des Baumeisters Schipke,
Abb. 114
Evangelische Schloßkirche zu Goschütz
hatte vielen Handwerkern und Arbeitern Beschäftigung gegeben. Viele Bauern der benachbarten Gemeinden hatten in der Kontemühle (Wassermühle, später modern motorisiert) Besitzer Arthur Krause, Gelegenheit ihr Getreide vermahlen zu lassen und abzusetzen. Goschütz war auch Sitz des Amtsbezirkes, zu dem 13 Landgemeinden gehörten. Bis 1918 war Graf von Reichenbach Amtsvorsteher, der die Amtsgeschäfte durch einen Stellvertreter führen ließ. Nach 1918 wurde der Amtsvorsteher auf Vorschlag des Kreisausschusses vom Kreistag gewählt. Der letzte Amtsvorsteher, der auch zugleich Bürgermeister von Goschütz war, hieß Erdmann Siegert. Er war wegen seines aufrechten und besonnenen Charakters geachtet und beliebt. Es war auch in der Regierungszeit der "Parteidiktatur Hitlers" seine vornehmste Aufgabe, immer ausgleichend zu wirken. In einem neuerbauten Dienst- und Wohngebäude war die Polizeistation eingerichtet. Sie war mit einem Landjägermeister und einem Oberlandjäger besetzt.
An Handwerksbetrieben waren drei selbständige Fleischereibetriebe vorhanden. Die Fleischerei Otto war Generationen hindurch weit über die Grenzen des Kreises führend und bekannt als Versandgeschäft für Fleisch- und Wurstwaren.
Die
Abb. 115
Freiwillige Feuerwehr von Goschütz
Hauptgeschäftszeit der Fleischereibetriebe war der Sonntagvormittag nach dem Gottesdienst, wo die sehr zahlreichen Kirchenbesucher aus den Nachbargemeinden ihre Einkäufe besorgten. Dasselbe galt für die vorhandenen vier Bäckereien, sechs Kolonialwarengeschäfte und sechs Gastwirtschaften. Für die Gastwirtschaften war auch der Markttag in der benachbarten Stadt Festenberg, der allmonatlich abgehalten wurde, ein guter Geschäftstag, weil die Bauern der umliegenden Orte auf ihrer Nachhausefahrt in Goschütz zahlreich Einkehr hielten. Auch für die voranschreitende Motorisierung war gesorgt. Mechanikermeister Karl Kunert betrieb einen schwungvollen Handel mit Kraftfahrzeugen, Fahrrädern und Landmaschinen und war mit einer umfangreichen, modernen Werkstätte und Tankstelle gut eingerichtet. Schlossermeister Karl Kinast hatte ebenfalls eine eigene Werkstätte für Fahrräder und Kraftfahrzeuge. An selbständigen Handwerksmeistern waren noch die beiden Schmiedemeister Renner und Katterwe, an Stellmachern Dugas und Rak. Tischlereien für Bau- und Möbeltischlerei die Tischlermeister Chille und Emner, Klempnermeister Burchart, Frisörgeschäfte Kasche und Sobisch, Schneiderwerkstätten Sobe und Klein, Schuhmachermeister Bistry und Strauß und Sattlermeister Bruns. Robert Schillheim betrieb eine gutgehende Zement- und Grabsteinfabrik.
Die von Baumeister Georg Schipke geleitete Spar- und Darlehenskasse war für Goschütz und die gesamte Umgebung eine sehr gute Einrichtung. Einen sehr guten Geschäftsgang hatte die Landwirtschaftliche Ein- und Verkaufsgenossenschaft für Goschütz und Umgebung. Sie stand unter der ausgezeichneten Leistung von Bauer Johann Heider. Das Standesamt Goschütz war auch für die 13 umliegenden Landgemeinden zuständig. Letzter Standesbeamter war der Kaufmann Georg Wilde. Nicht unerwähnt bleiben soll die modern eingerichtete Schloßgärtnerei. Die beiden letzten Gärtnermeister waren Riedel und Hausmann. Einen sehr guten Eindruck machte auch der an die Gärtnerei angrenzende Schloßteich, auch Kupseteich genannt. Mitten im Teich befand sich eine kleine Insel mit großen, zum Teil uralten Bäumen. Schwäne und Wildenten vervollständigten das idyllische Bild. In den Sommermonaten wurde der Teich als Freibad benutzt und im Winter war er der beliebte Tummelplatz für Schlittschuhläufer, Kinder und Erwachsene.
Abb. S190
Diamantene Hochzeit von Johann Keller aus Muschlitz bei Festenberg. Johann Keller war Mitbegründer des Kriegervereins Goschütz und der letzte Veteran des gesamten Kreisgebietes aus dem Kriege von 1870- 71. Er stammte aus Domaslawitz (nach 1933 Lindenhorst), war Landwirt und Gemeindevorsteher und starb kurz vor seinem 90. Geburtstag im März 1939.

Der Goschützer Gesangverein war bereits vor dem Ersten Weltkrieg unter der vorzüglichen Leitung des Hauptlehrer und Kantors Albert Ronge (sein Nachfolger war Hauptlehrer und Kantor Pohl), weit über Goschütz hinaus in seinen Leistungen bekannt und sehr gern gehört. Zu erwähnen wäre noch die Goschützer Hebamme Frau Peterzelt, die außer Goschütz auch die umliegenden 12 Landgemeinden bis zu einer Entfernung von ca. 10 km im Umkreis zu betreuen hatte. Frau Peterzelt war viele Jahrzehnte bis in ihr hohes Alter hinein mit besonderem Pflichtbewußtsein in ihrem Beruf tätig. Sie hat den größten Teil der weiten Wege zu Fuß zurückgelegt.

Die Gemeinde Lichtenhain

bestand aus dem Dorf Lichtenhain und den sechs Ortsteilen: Amselgrund, Sanden, Rodenau, Aubach, Wildhorst und Frischfeuer und hatte ca. 600 Einwohner. An landwirtschaftlichen Gehöften in der Größe von 20 bis 105 Morgen waren 62 vorhanden, an kleinen Stellenbesitzer und Häuslerstellen von 1 bis 20 Morgen 14 Betriebe. Zur Miete wohnten 10 Familien. Die einzelnen Gehöfte waren in der Regel zu beiden Seiten der Straße errichtet und lagen 50 bis 200 Meter voneinander entfernt. Die Gebäude hatten teilweise ein Alter von bis zu 200 Jahren und bestanden in der Mehrzahl (bis 1918) aus Holzbalkenwerk und Schobendach bzw. Strohdach. Die Dorfstraßen waren bis 1918 durchweg unbefestigte Feldwege. Konfessionell war das Verhältnis evangelisch und katholisch zu gleichen Teilen.
Beide Konfessionen gehörten jeweils zur Kirchengemeinde Goschütz. Bis 1926 war eine katholische Schule vorhanden. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (um 1873) kaufte das Domkapitel Breslau in Lichtenhain eine landwirtschaftliche Stellenbesitzer-Stelle in Größe von 37 Morgen und richtete in dem alten Holzwohnhaus eine Schule mit Lehrerwohnung ein. Kurz vor 1900 entsprach das alte Haus doch nicht mehr den Anforderungen eines Schulgebäudes und wurde als solches außer Betrieb gesetzt. In dieser Zeit waren die Kinder von Lichtenhain in die Nachbargemeinde Lindenhorst eingeschult worden. Im Jahre 1907 wurde das frühere alte Schulhaus abgebrochen und 1908 an derselben Stelle ein neues Schulgebäude errichtet, das mit einer katholischen Lehrkraft besetzt wurde. Die evangelischen Kinder von Lichtenhain besuchten weiter die evangelische Schule in Lindenhorst. Unsere Gemeinde wurde 1919 um den Ortsteil Sanden, der bis dahin zur Gemeinde Doberschütz gehörte, vergrößert. Doberschütz wurde polnisch. Die Gemeinde gehörte bis 1926 zu den Schulverbänden Lichtenhain, Lindenhorst und Charlottenthal. Die Kinder hatten einen Schulweg von 3 bis 4 Kilometer zurückzulegen. In den Wintermonaten bei den unbefestigten Schulwegen, war der Weg für die Kinder fast nicht zumutbar. Als ich 1924 zum Gemeindevorsteher und später auch zum Schulverbandsvorsteher gewählt wurde, war es meine Aufgabe die Gemeinde Lichtenhain mit 135 schulpflichtigen Kindern zu einem selbständigen, eigenen Schulverband zu machen. Bei Neubau von Wohngebäuden in Lichtenhain wurde vorsorglich für Ersatzschulräume gesorgt und 1926 war es soweit, daß die Gemeinde ein eigener Schulverband wurde. Dazu kamen noch die angrenzenden Ortsteile Wildheide-Berge und Drosselgrund, die zur Politischen Gemeinde Wildheide gehörten und deren Kinder ebenfalls einen Schulweg von rund 5 Kilometer nach Goschütz zurückzulegen hatten. Der Schulverband bekam nun noch den zweiten und dritten Lehrer und wurde damit Hauptlehrerstelle. Der letzte Hauptlehrer, der eine Reihe von Jahren in Lichtenhain unterrichtet hat, war Hauptlehrer Giering. Er war ein besonders pflichtbewußter und tüchtiger Lehrer, in Gemeinde und Schulverband geachtet und geschätzt, und fand nach 1945 in Volkenschwand über Mainburg, Niederbayern, als Hauptlehrer eine Wiederverwendung.

In einem geräumigen gemieteten Raum wurde eine evangelische Schule eingerichtet, so daß der Charakter der konfessionellen Schule gewahrt wurde. Nach 1933 wurde dieser Zustand aufgehoben und es gab dann nur noch die Gemeinschaftsschule. Im Jahre 1932 wurde in Gegenwart von Vertretern der Regierung Breslau nach einem vorausgegangenen Lokaltermin der Beschluß gefaßt, ein neues geräumiges Schulgebäude zu errichten, das allen modernen und räumlichen Anforderungen entsprechen sollte. Dieser Plan kam leider nach 1933, und der damit eingetretenen Diktatur des "tausendjährigen Reiches" nicht mehr zur Ausführung.
In der Gemeinde gab es zwei Gastwirtschaften, in Lichtenhain Gastwirt Konschak und in Rodenau Gastwirt Ulbrich. Ferner gab es zwei Kolonialwarengeschäfte, in Lichtenhain Stellenbesitzer Gottlieb Gabriel und in Rodenau Pächter Leha. In den letzten Jahren war auch ein Landjägerposten in Lichtenhain aufgezogen. In Wildhorst lag mitten im Wald, sehr schön gelegen, eine modern erbaute Försterei des Grafen von Reichenbach. Es war dies die größte Revierförsterstelle der neun Revierförsterstellen mit ca. 9000 Morgen. Bereits Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg hatte Revierförster Richter, diese Stelle von seinem Vater übernommen und verwaltet. In Ausübung seines Berufes ist er im Mai 1919 erschossen worden. Die Stelle seines Todes ließ Graf von Reichenbach mit einem Gedenkstein kennzeichnen. Nachfolger wurde sein ältester Sohn Friedrich Richter. Er war von 1924 bis 1934 Mitglied der Gemeindevertretung und mit großem Eifer und Umsicht um die Interessen der Gemeinde besorgt. Nach 1945 konnte er seinen Beruf in der Bundesrepublik noch ausüben und ist bei einer Treibjagd am Hubertustag 1959 infolge Herzversagens im Alter von 71 Jahren gestorben.

Die Gemeindeverwaltung der Gemeinde bestand aus dem Gemeindevorsteher, zwei Gemeindeschöffen, einem Ersatzschöffen und neun Gemeindevertretern sowie dem Gemeindeboten. Der Posten des Gemeindebotens blieb traditionsgemäß immer in derselben Familie. Viele Jahrzehnte vor 1900 hatte Karl Morawe diesen Posten übernommen, und ihn als alter Soldat, stets pflichtbewußt und gewissenhaft ausgeübt. Er konnte sein 50jähriges Dienstjubiläum feiern und hat das Amt bei Erreichung seines 80. Lebensjahres an seinen Sohn Karl Morawe abgetreten. War Karl Morawe sen. sehr pflichtbewußt, so hat ihn sein Sohn noch an Diensteifer und Gewissenhaftigkeit übertroffen. Karl Morawe jun. war Schwerkriegsbeschädigter (Verlust der linken Hand und schwere Verwundung am linken Fuß). Dessen ungeachtet hat er alle Botengänge in der großen Gemeinde mit besonderer Gewissenhaftigkeit ausgeführt und in derselben Weise auch den Nachtwachtdienst versehen. Außerdem war er noch mit der Waldaufsicht bei Revierförster Richter
Abb. 116
Försterei Wildhorst
betraut. Morawe hat alle diese Posten bis zur Vertreibung (1945) ausgeübt.
Die gesamte Landgemeinde befand sich infolge ihrer Streulage wirtschaftlich gesehen in einer unangenehmen Lage, da sich die Zufahrtswege von Lindenhorst und Drosselgrund im Winterhalbjahr zeitweise in einem fast unpassierbarem Zustand befanden. Als Kreistagsabgeordnetem und Mitglied des Kreisausschusses war es mir nach jahrelangen Bemühungen gelungen 1928 den Kreistag von der Dringlichkeit eines Chausseebaues von Lindenhorst über Lichtenhain nach Drosselgrund zu überzeugen, und so wurde 1928/1929 diese neue Straße gebaut. Das Dorf Lichtenhain erhielt durch diese neue Dorfstraße ein vollkommen neues Gesicht und die Bauern wurden dazu angeregt und ermuntert, zum großen Teil auch ihre Wirtschafts- und Wohngebäude neu zu bauen, so daß nach einigen Jahren das Dorf fast völlig verändert war. zu den Neubauten wäre zu erwähnen, sie sind in der Mehrzahl von den Bauern in eigener Regie, also ohne Baumeister und Bauunternehmer, ausgeführt worden. Es gab in der Gemeinde unter den kleineren Stellenbesitzer auch einige Maurer und Zimmerpoliere,
Abb. 117
Dorfstraße in Lichtenhain
die unter Hinzuziehung weiterer Berufskollegen diese Bauten nach der amtlich genehmigten Bauzeichnung zur vollen Zufriedenheit der Bauherren ausführten. Der Arbeitsstundenlohn betrug 1928 für einen Maurer und Zimmerpolier 0,80 RM, für Maurer und Zimmerleute 0,70 RM und für Bauhilfsarbeiter 0,50 RM. Letztere Arbeiten wurden in der Regel von Familienangehörigen bzw. von der Nachbarhilfe ausgeführt. Für das Heranschaffen des gesamten Baumaterials (für ein Zweifamilienhaus wurden ca. 50 000 Stück Ziegelsteine verbraucht) Bauholz, Dachsteine usw. bestand der schöne, aus dem vorigen Jahrhundert überlieferte alte, ländliche Brauch der gegenseitigen Hilfe. Er bestand darin, daß alle Bauern (mit Pferdegespannen) der Gemeinde und auch gute Bekannte der Nachbargemeinden, für einen von dem Bauherrn angegebenen Tag gebeten wurden, die Bausteine von der betreffenden Ziegelei anzufahren. Die Anfahrt erfolgte kostenlos, nur zu Essen und zu Trinken wurden die Fuhrleute eingeladen, auch die Pferde erhielten ihr Futter. Mit dem Heranschaffen des übrigen Baumaterials wurde in der gleichen Weise verfahren.
Die Gemeinde hatte einen gewissen Wohlstand erreicht. Besonders die Pferdezucht wurde viel betrieben und durch den von mir im Jahre 1924 gegründeten Reiterverein besonders gefördert. An Pferden waren in der Gemeinde ca. 115, an Rindern 680 Stück und an Schweinen ca. 800 Stück vorhanden. Aus den Wäldern des Grafen von Reichenbach fiel alljährlich viel Langholz zum Abfahren an. Daran beteiligten sich unsere Bauern im Spätherbst und den Wintermonaten gern.
Bei der Instandhaltung von Wegen und beim Brückenbau wurde nach der alten Gemeindeordnung von 1918 weiter verfahren. Es hatte sich auch gut bewährt. Inhaber von Pferde- und Ochsengespannen (Kuhgespanne waren vom Gespanndienst befreit) hatten zu der angesetzten Gemeindearbeit als Spanndienst mit dem Gespann zu erscheinen, mit dem sie ihren Acker bestellten. Außer dem Gespannführer hatte von demselben Hof noch eine Person mit Schaufel zu erscheinen, die zum Aufladen und zum Auffüllen des Erdreichs der beschädigten Wegteile verpflichtet war. Zum Ausbessern und Ausheben der Gräben an den schadhaft gewordenen Wegrändern und zum Planieren wurden nur Handdienste angesetzt. Diese Gemeindearbeiten dauerten je nach Bedarf jedes Jahr zwei bis vier Tage. Da sich im Gemeindebezirk acht große Teiche, die Eigentum des Grafen von Reichenbach waren, befanden, gab es mehrere Zuflußgräben, die bei den vorhandenen Wirtschafts- und auch öffentlichen Wegen überbrückt werden mußten. Das Holz zu diesen Brücken hatte der Gutsbesitzer (in diesem Falle also Graf von Reichenbach) zu liefern. Die Brücken selbst wurden ebenfalls im Wege der Gemeindearbeit errichtet. Alle diese Gemeindearbeiten wurden unentgeltlich geleistet und fielen wie üblich in die landwirtschaftlich ruhige Zeit zwischen Frühjahrsbestellung und Beginn der Heuernte. Die Heuernte begann bei uns am 15. Juni, die Getreideernte am 12. Juli und die Kartoffelernte am 12. September. Mit der Herbstsaat, in der Hauptsache Roggen (Weizen wurde nur für den Eigenbedarf angebaut) wurde am 20. September begonnen. Die Aussaat war mit Ablauf des Monats September beendet. Die Frühjahrssaat, wobei es sich in der Hauptsache um Hafer handelte, wurde bei günstigem Frühjahrswetter am 15. März begonnen und war Ende März beendet. Sommergerste und auch Manggetreide aus Hafer und Gerste wurde nur in geringem Umfang angebaut.
Die Einsaat von Lupinen (bittere Gelblupine und Süßlupine) erfolgte Anfang April, da diese beim Aufgehen durch Nachtfrost gefährdet war. Das Auslegen der Kartoffeln erfolgte bei günstigem Wetter Anfang April (besonders Frühkartoffel) in der Regel aber ab 15. April. Die Ernteergebnisse waren: bei Sommergerste 8 bis 10 Zentner, Roggen 12 bis 15 Zentner, Weizen 8 bis 10 Zentner, Hafer und Hafergemenge 12 bis 16 Zentner, Kartoffeln 100 bis 150 Zentner, alles je Morgen. Der größte Teil des geernteten Getreides und Kartoffeln wurde in der eigenen Wirtschaft als Schrotgetreide an Schweine und Vieh verfüttert. Da infolge der Teichnähe und der vielen Zuflußgräben fast überall Wasser vorhanden war, wurde von den Bauern viel Geflügel, in der Hauptsache Gänse und Enten, gehalten. Auf ein Gehöft kamen bis zu 50 Stück Gänse, sie wurden gemästet und bildeten beim Verkauf um die Weihnachtszeit eine gute zusätzliche Einnahme.
Nach Einbringung der Ernte wurde alljährlich nach altem Brauch in der Gemeinde das Erntefest gefeiert. Mit Umzug, Musikkapelle, Reitern, Schnitter und Schnitterinnen, Erntemaschinen, Erntewagen mit Erntekrone, Wagen mit Druschpersonal (mit Dreschflegeln ausgerüstet), Ehrendamen und Ehrengästen und der Weizenbraut, die in einem der Ortsteile abgeholt wurde, ging es nach dem Festplatz. Dort fanden Volksbelustigungen statt, darunter großangelegte Reiterspiele, wie das sogenannte Entenreiten. An einem aufgebauten Gerüst mit Grün und Bekränzung geschmückt, war eine tote Ente mit dem Kopf nach unten aufgehängt. Die Reiter ritten in Abständen in gestrecktem Galopp hindurch und versuchten dabei den Kopf der Ente abzureißen. Dem Reiter, dem dies gelang (die Ente war jedoch so angebracht, daß sie von einer Person vermittels einer Leine herauf und herunter bewegt werden konnte, so daß sie nur schwer zu erreichen war), wurde als König dieser Veranstaltung bezeichnet und entsprechend gefeiert. Am Spätnachmittag, nach Beendigung der Spiele auf dem Festplatz, setzte sich der gesamte Festzug in Richtung Konschaks Gasthaus in Bewegung, wo das Fest bei Spiel, Tanz und gemütlichem Beisammensein seinen Fortgang nahm. Ein solches Erntefest, das wirklich ein Volksfest im wahrsten Sinne des Wortes war, wurde in voller Einmütigkeit unter Teilnahme sämtlicher Gemeindebewohner begangen.
Seit dem Bestehen des Reitervereines wurden alle Jahre Reiterfeste bzw. Reitturniere veranstaltet. Auch junge Bauernsöhne der Nachbargemeinden waren Mitglieder unseres Vereins, der es bis auf 24 Mitglieder gebracht hatte. Der Verein hatte gegen Ende der zwanziger Jahre ein recht gutes Pferdematerial aufzuweisen, war mit Lanzen (aus Holz) gut eingeübt und vollbrachte im Puppenstechen bei gestrecktem Galopp ganz gute Leistungen. Gleichfalls konnte er sich mit einem Parademarsch im Trab und im Galopp ganz gut sehen lassen. Als Preisrichter im Schulreiten fungierten alte Kavallerieoffiziere wie Oberst Rothkirch, Oels, Major von Klitzing, Breslau, (letzterer war Landesvorsitzender der ländlichen Reitervereine Schlesiens), Graf von Reichenbach, u.a. Auch im Hindernisspringen wurden über recht schwere Hindernisse wie Zäune, Doppelstangen, Mauer, Wassergraben usw. recht gute Ergebnisse erzielt. Auch eine berittene Damenabteilung hatte sich am Schulreiten, Flachrennen und Reiterspielen beteiligt. Der Verein hat an vielen auswärtigen Turnieren und festlichen Veranstaltungen (wie Kriegervereinsfest in Neumittelwalde, Feuerwehrfest in Goschütz, Kriegervereins Fahnenweihe in Goschütz-Neudorf usw. usw.) teilgenommen, und war auch außerhalb der Kreisgrenzen gut bekannt. Es erfolgten Einladungen an auswärtige Reitervereine zu den Turnieren und so war es keine Seltenheit, daß an diesen Turnieren 40 bis 50 Reiter teilnahmen. Graf von Reichenbach hat den Verein stets gefördert, in dem er ihm einen schönen Reitplatz von ca. 10 Morgen, hübsch umrahmt von Wald und dem großen Jesiorteich, unentgeltlich zur Verfügung stellte. Er nahm alle Jahre mit einer Anzahl anderer Großgrundbesitzer aus Nachbarkreisen, die alle recht ansehnliche Ehrenpreise gestiftet hatten, an den Turnieren teil. Als Zuschauer hatten sich zu diesen Turnieren oft mehrere Tausend Menschen eingefunden. Im Anschluß an die reiterlichen Vorführungen nahm die Veranstaltung auf dem Reitplatz - wo eine große Tanzdiele errichtet war - ihren Fortgang. Diese schöne Einrichtung fand nach der "Machtübernahme" ihr Ende. Um der beabsichtigten Zwangsüberführung des Vereins in die Reiter-SS zu entgehen, wurde die Auflösung des Vereins beschlossen. Mitglied und rege sich beteiligender aktiver Reiter des Vereins war der heute in Köln lebende "Ossi" Langner. Er wurde ein erfolgreicher Jockei und hat das Reiten zu seiner Berufsaufgabe gemacht.

Nicht unerwähnt möchte ich lassen, daß unsere Gemeinde ein selten schönes Bild der Eintracht und Einigkeit bot. Es gab weder in religiöser noch in politischer Hinsicht irgendwelche unüberbrückbare Gegensätze. Zu allen Gemeindewahlen - ein Jahrzehnt hindurch - wurde nur ein Wahlvorschlag eingereicht. Gemeindevorsteher und Gemeindeschöffen wurden nur einstimmig gewählt. Wir hatten darin ein gutes Beispiel im Kreisausschuß unseres Kreises, in welchem unter Vorsitz von Landrat von Reinersdorff über alle Beschlüsse in den zehn Jahren nicht ein einziges Mal eine Abstimmung notwendig war, weil alle Beschlüsse einstimmig gefaßt wurden. So ist auch in unserer Gemeinde verfahren worden. Auch bei den letzten Gemeindewahlen am 5. März 1933, als zum ersten Male von der NSDAP ein zweiter Wahlvorschlag eingereicht wurde, erhielt dieser nur 8 % aller abgegebenen Stimmen.
Nachdem die Landgemeinden unseres zum Grenzkreis gewordenen Kreises Groß Wartenberg, die schweren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg gut überstanden, durch unermüdlichen Fleiß die Wirtschaft wieder gut aufgebaut hatten, kam eine bittere Zeit unter der Regierung des "Tausendjährigen Reiches" oberflächlich-wirtschaftlich gesehen, hatte dieses Regime scheinbar manchen Erfolg aufzuweisen, aber was die Freiheit unseres Volkes auch in religiöser und politischer Hinsicht sowie was die Selbstbestimmung und Selbstverwaltung unserer Gemeinden betraf, damit war es endgültig vorbei. Alte bewährte Gemeindevorsteher wurden, falls sie nicht der Partei angehörten, ihrer ämter enthoben, Wahlen fanden nicht mehr statt, die Landgemeinden wurden ihrer Selbstverwaltung beraubt, die Gemeindevorsteher wurden gegen den Willen der Gemeinde von der Parteileitung eingesetzt und erhielten die Bezeichnung Bürgermeister. Durch den Wahnsinn einer Regierung, die sich vorgenommen hatte die Welt zu erobern und zu beherrschen, kam es zum Krieg. Dieser unglückselige Krieg mußte ein so trauriges Ende nehmen.
Den Bauern unserer heimatlichen Landgemeinden kann nichts die verlorene Heimat ersetzen. Es bleibt uns nur die Erinnerung an eine glückliche verlebte Zeit im Kreis Groß Wartenberg in Schlesien.

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