Abb. 105
Festenberger Tischler stellten sich im Jahre 1912 dem Photographen und präsentieren ihr ganzes Fertigungsprogramm - vom Sarg bis zum Vertiko

Die Organisation des Handwerks in den dreißiger Jahren

Von Ernst Drieschner

Einen guten Oberblick über die Vielschichtigkeit des Handwerks im alten Kreis Groß Wartenberg gibt der nachstehende Bericht. Wenngleich die Zeitverhältnisse auch der Organisationsform des Handwerks ihren Stempel aufdrückten.
Im Jahre 1935 wurde von der damaligen Reichsregierung das Gesetz über den Aufbau des Deutschen Handwerks erlassen. Mit dem obigen Gesetz wurde es Pflicht eines jeden selbständigen Handwerkers in der Handwerksrolle eingetragen zu sein, bzw. die Eintragung nachträglich zu vollziehen und damit einer Fachinnung als Pflichtmitglied anzugehören. Die so entstandene Kreishandwerkerschaft unseres Kreises Groß Wartenberg setzte sich aus folgenden selbständigen Innungen zusammen:
Abb. 106
Schmiede und Stellmacher bei einem Umzug in Neumittelwalde.

die Tischler-Innung
die Bäcker-Innung
die Fleischer-Innung
die Herrenschneider-Innung
die Schuhmacher-Innung
die Schmiede-Innung.

Hinzu kam noch die Mechaniker-Innung, die sich über die Kreise Groß Wartenberg, Oels, Namslau, Militsch, Trebnitz und Trachenberg erstreckte. Für diese Innung waren in einem Kreise nicht genügend Handwerker tätig, um eine lebensfähige kreiseigene Innung zu bilden. Die Mechaniker-Innung zählte in diesen Kreisen zusammen etwa 80 Mitglieder. Ihr Obermeister wurde auf Vorschlag der Kreishandwerkerschaft - wie überhaupt alle Obermeister - von der Handwerkskammer mit Billigung der politischen Kreisleitung ernannt, nicht gewählt. In Groß Wartenberg war Obermeister der Mechanikermeister Paul Schczuka. Deshalb hatte auch die Mechaniker-Innung ihren Sitz in Groß Wartenberg. Nach dem Tode von Schczuka, wurde K. Kunert in Goschütz neuer Obermeister.
Obermeister der Tischler-Innung, der stärksten Innung, mit etwa 120 Mitgliedern, war Tischlermeister Fritz Heilmann, Festenberg. In der in Schlesien als Tischlerstadt bekannten Stadt Festenberg gab es allein gegen 160 Betriebe.
Obermeister der Fleischer-Innung war Fleischermeister Berthold, Festenberg, Obermeister der Bäcker-Innung, Bäckermeister Hoffmann in Festenberg. Obermeister der Herrenschneider-Innung, Schneidermeister Paul Rindok, Groß Wartenberg, Obermeister der Schuhmacher-Innung, Schuhmachermeister Hermann Guhr, Groß Wartenberg und Obermeister der Schmiede-Innung, Schmiedemeister Karl Krause, Festenberg. Alle übrigen Handwerker im Kreisgebiet wurden anderen Innungen zugeteilt. So gehörten die Maler der Maler-Innung Namslau an. Die Friseure kamen zur Friseur-Innung Oels, ebenso gehörten die Stellmacher der Stellmacher-Innung Oels an. Diese Innungen verteilten sich fast alle über die Kreise Oels-Namslau-Groß Wartenberg.
Für die einzelnen Kreise wurden Kreisobmänner bestellt, die sich um die einzelnen Handwerksbetriebe zu kümmern hatten. Kreisobmann für die Maler-Innung war Malermeister Paul Guder, Groß Wartenberg, für die Friseure Friseurmeister Clemens Kursawe, Groß Wartenberg. Die ungefähre Stärke der Innungen betrug:
Tischler-Innungungefähr120 Mitglieder
Bäcker-Innung ungefähr60 Mitglieder
Fleischer-Innung ungefähr55 Mitglieder
Schuhmacher-Innung ungefähr 75 Mitglieder
Herrenschneider-Innungungefähr50 Mitglieder
Schmiede-Innung ungefähr 50 Mitglieder
Abb. 107
Abwanderung von Arbeitskräften aus der Landwirtschaft im Jahre 1921. Kraschener Kleinlandwirte als Ziegeleiarbeiter in Duisburg-Meiderich zusammen mit Ziegeleiarbeitern aus Rinteln (Grafschaft Schaumburg).
Die Mechaniker-Innung hatte in allen Kreisen zusammen etwa 120 Mitglieder, wovon im Kreis Groß Wartenberg etwa 25 Mechanikermeister ansässig waren.
Den Innungen oblag: Die Betreuung der einzelnen, ihr angehörenden Innungsbetriebe, Aufnahme und Freisprechung von Lehrlingen, Vorbereitungskurse für die Gesellenprüfung, Durchführung bzw. Mithilfe bei den jährlich stattfindenden Berufswettkämpfen der Lehrlinge u. a. m. Die Aufnahme der neu eintretenden Lehrlinge fand in jedem Jahr vor der Innungsversammlung statt. Die Lehrlinge mußten hierzu erscheinen und wurden vom Obermeister der Innung aufgenommen.
Kam es vor, daß bei einem Meister ein Lehrling bei der Gesellenprüfung versagte, so wurde von der Innung nach den Ursachen geforscht. Lag ein Versagen des Meisters vor, so mußte er damit rechnen, weiterhin keine Lehrlinge zu erhalten. Auch die Zahl der einzustellenden Lehrlinge war durch Gesetz beschränkt. Die Innung führte Vorbereitungskurse für die Gesellenprüfungen durch, d. h. die Lehrlinge wurden in fachlichen Fragen des Berufes unterrichtet. Ferner hatte die Innung den Gesellenprüfungsausschuß zu benennen, der die Gesellenprüfung fachlich und praktisch sowie theoretisch durchzuführen hatte.

Während des Krieges kamen noch mannigfache Aufgaben für die Innungen hinzu, so z. B. bei der allmählich anfangenden Verknappung des Materials - Eisen, Leder, Backmittel usw. - Ausgabe von Material-Bezugsscheinen, die Unterrichtung der Innungsmitglieder über die aufkommenden Ersatzstoffe und deren Verarbeitung, möglichst Aufrechterhaltung der lebensnotwendigen Betriebe, wie z. B. der Bäckereien und Fleischereien zur Versorgung der Bevölkerung in den Fällen, wenn der Meister zum Militärdienst eingezogen war.

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