Rudelsdorf
Ein Rückblick auf Dorf und Gut
Von Wilfried von Korn
Die jetzt miteinander verbundenen Rittergüter Ober- und Nieder-Rudelsdorf
(Droltowitz) mit der dazu gehörigen Colonie Dyrenfeld (Zawada) und dem
Rittergut Radyne (Radyn) hegen in der fruchtbaren Ebene des Wartenberger
Kreises, ringsum von Laub- und Nadelholzforsten eingeschlossen, an der
Chaussee von Breslau nach Kabsch, 1 3/8 Meilen von Wartenberg, 61 Meilen
von Breslau entfernt und beträgt das nach geschehener
Servituten-Ablösung noch verbleibende Dominial-Areal 7274 Morgen, wovon
3852 Morgen Eichen- und Kieferforst sind.
Die Nachrichten und Dokumente
über den Besitz dieser Güter sind mangelhaft und da Rudelsdorf erst in
dem letzten Jahrhundert mit Radyne verbunden wurde, der Besitz ein oft
wechselnder und sehr verschiedener. Die noch vorhandenen Kauf-Dokumente
von Rudelsdorf nennen als Eigentümer dieser Güter 1661 Georg von
Sternberg. 1673 Leonhard Moritz von Prittwitz und Gaffron. 1676 Otto
Heinrich von Keltsch und Romberg. 1679 Max Leopold von Greifenstein.
1703 Georg Wenzel von Sahsch und Nassengriff. 1721 Carl Max Freiherr von
Dyhrn und Schönau. 1789 Freier Standesherr der Herrschaft Goschütz Graf
Reichenbach, wo die Rudelsdorfer Güter mit Radyne im Fortbesitz dieser
Familie blieben, bis sie der Vater der gegenwärtigen Besitzer, J. G.
Korn aus Breslau, käuflich 1826 erwarb.
Die Nachrichten über Radyne sind
älter als die von Rudelsdorf. 1546 erkaufte Matthias von Boischnitz das
Gut Radyn mit polnischen Rechten von Joachim von Malzahn, Reichsgrafen
zu Wartenberg. 1560 George Ruhr von Rathen. 1597 verkauften die Heinrich
Ohm von Januczewsky'sche Vormünder Radyn an Bastian von Köslingen,
später kam es an Hans von Koschembahr. 1623 an Cristoph von Koschembahr
von Skorkow. 1656 an Johann Christian Schalzen, durch Erbteilung an
Wilhelm von Stosz, dann an Peter Moritz von Kotulinsky
und der Jeltsch, 1669 an Hans Christoph von Stosch und Siegroth. 1729
an Johann Jacob von Wegu. 1738 an Ferdinand Wilhelm von Deesky. 1757
durch Ernst Freiherr von Dyhrn mit Rudelsdorf vereint. 1789 besitzt es
der Freie Standesherr Graf Reichenbach-Goschütz, dessen Erben wir oben
erwähnt, Radyne mit Rudelsdorf 1826 an den - Buchhändler J. G. Korn
verkauften. Beide Güter gelangten durch Erbschaft an seinen Sohn W. G.
Korn, den gegenwärtigen Besitzer.
Die Grundmauern des in Rudeldorf
stehenden Wohnhauses sowie das Parterre sind gegen Mitte des vorigen
(also 18.) Jahrhunderts errichtet und wurde diesem im Jahre 1827 eine
Etage aufgesetzt.
Der vorstehende Text ist eine Chronik der Güter
Rudelsdorf und Raydne aus der Mitte des vorigen Jahrhundert,
aufgezeichnet auf der Rückseite eines Kupferstiches, das damalige
Gutshaus in Rudelsdorf darstellend.
Hieran anschließend ist zu
berichten, daß Wilhelm Gottlieb Korn (Sohn des Johann Gottlieb Korn, der
das Gut mit dem Vorwerk Radyne 1826 kaufte) der Stifter des
Fideikommisses (unveräußerliches und unteilbares Erbgut) war. Dieses
erbte nach dem frühzeitigen Tod seines Sohnes Stanislaus dessen noch
minderjähriger Sohn Johann Gottlieb (Hans) (geboren 1864). Großjährig
übernahm er 1885 den Betrieb, der in der Zwischenzeit von seinem Onkel
Ferdinand von Korn verwaltet worden war. Mein Großvater Dr. jur. Hans
von Korn, als langjährigster Besitzer, legte den Grundstein zu
Rudelsdorfs Blütezeit und zwar nicht nur im Hinblick auf die
Wirtschaftsführung des Gutes, sondern auch hinsichtlich zahlreicher
Sozialeinrichtungen, von denen alle Dorfbewohner profitierten.
Rudelsdorf hatte laut letzter regulärer Volkszählung im Jahre 1939 ein
Zahl von 570 Einwohnern. Die Statistik sagt weiterhin aus, daß die
land- und forstwirtschaftlichen Nutzflächen eine Größe von 2016,60
Hektar hatten, in die sich 53 landwirtschaftliche Betriebe teilten.
Allerdings waren es außer dem Gutsbetrieb nur etwa 14 bäuerliche
Vollerwerbsbetriebe.
Die Dorfform richtete sich nach der Straßenführung
der Chaussee von Oels nach Neumittelwalde und der Straße von Festenberg
nach Groß Wartenberg. Beide Verbindungen kreuzten sich in Rudelsdorf.
Früheste Zeugen der Siedlungsgeschichte waren eine kunstvoll bearbeitete
Steinaxt und verschiedene Tonscherben, die beim Lehmabbau für die
ehemals betriebene Ziegelei am äußersten Nordrand des Dorfes gefunden
wurden. Daraus können wir schließen, daß schon in der Frühgeschichte
eine Siedlung bestanden haben muß, was sich aus der Lage an der West-Ost
Handelsstraße erklären läßt. Aus der Neuzeit ist uns ein Bericht
überliefert, der die Lage in den schlesischen Grenzbezirken schildert
und auch über das Schicksal von Rudelsdorf Auskunft gibt.
"Am Ausgang des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts gestaltete sich die
Lage in Schlesiens Grenzbezirken besonders schlimm. Gewaltige politische
Erschütterungen im Nachbarland Polen zogen auch die Gebiete des Kreises
Groß Wartenberg in Mitleidenschaft. 1697 erwählten die in Parteien
gespaltenen Polen gleich zwei Könige auf einmal. Einer davon war der
Kurfürst August von Sachsen, der es verstand, seinen Nebenbuhler
beiseite zu drücken und schließlich auch die Anerkennung seiner Gegner
zu finden. Der Polenkönig August von Sachsen hatte jedoch mit seiner
Bündnispolitik wenig Glück und wurde in den sogenannten "Nordischen
Krieg" verwickelt, im Verlauf dessen der von seinen Gegnern gewählte
Wojwode von Polen, Stanislaus Lesczynski, ebenfalls zum König von Polen
ausgerufen wurde. Dieser drang nach dem Siege bei Fraustadt im Jahre
1706 nach Sachsen vor, um den König August zur Verzichtleistung auf den
polnischen Thron zu zwingen und schloß 1707 den Frieden von Alt
Ranstädt. 1709 kehrte aber August von Sachsen wieder als Polenkönig
zurück. Es war begreiflich, daß dieses hin und her in den schlesischen
Grenzbezirken allerlei Unsicherheit auslöste. Truppendurchmärsche und
Einquartierungslasten, ansteckende Krankheiten unter Mensch und Vieh,
Mißwuchs und Mißernten ließen die Bevölkerung ungeheuer leiden. 1699 war
die Not so groß, daß die Stände ihre Steuer nicht aufbringen konnten und
deshalb mit militärischer Exekution bedroht wurden. Um der aus Polen
eingeschleppten Pest weiterhin Zutritt zu verwehren, wurde die ganze
Grenzlinie in einer Länge von über drei Meilen verschlagen. Die
mächtigsten Eichen und anderes schönstes nutzbares Holz wurden in diesen
Schutzwall verbaut. Dadurch sollte der Verkehr über die Grenze
abgeschnitten werden. Tag und Nacht ließ man sie bewachen und die Wachen
wurden durch sogenannte "Pestdragoner" oder Kommissionare beaufsichtigt.
Diese Grenzsperre erregte natürlich das Mißfallen der polnischen
Nachbarn und löste einen Racheakt aus. Am 23. Oktober 1709 machten
polnische Truppen in Stärke von 15 000 Mann einen überraschenden Einfall
in die Gebiete des Kreises Groß Wartenberg. Sie verübten
Gewalttätigkeiten aller Art und sorgten für die Verbreitung der
Krankheit, ganz zu schweigen von dem Schaden, den sie an Haus und Hof
und allen Gütern der betroffenen Gemeinden anrichteten. Am schwersten
betroffen wurden die Gemeinden Cammerau, Distelwitz, Rudelsdorf und
Stradam."
Nach dieser allgemeinen Beschreibung und den historischen Berichten
möchte ich nun überleiten zur eigenen Darstellung des Dorfbildes, wobei
ich mich auf Erzählungen meiner elterlichen Familie und auf eigene
Erinnerungen stütze. Der Jahresablauf und der Rhythmus des Tages waren
in den meisten Bereichen geprägt von den Vorgängen auf dem Gut. Zur
Bewirtschaftung des 1873 Hektar großen Betriebes (davon 1073 Hektar
Forst) waren einschließlich des Vorwerkes in Radyne etwa 80 Menschen
tätig.
Im Frühjahr, nach einem meist langen und schneereichen Winter,
war die Bestellung der Ackerflächen oft ein Wettlauf mit der Zeit. Die
Maschinen waren in der gutseigenen Schmiede und Werkstatt im Winter
überholt worden und so zogen fünf Traktoren die Furchen durch das Land,
während die Oberflächenarbeit die etwa 30 Pferde übernahmen. In großer
Zahl wurden von den im Zuchtbuch eingetragenen Oldenburger Stuten Fohlen
gezogen, die auf den ausgedehnten Koppelanlagen in Radyne eine sehr
gesunde Aufzucht genossen. Neben einem intensiven Getreideanbau mit
Vermehrung von Hochzucht-Elitesorten, wurde entsprechend der teilweise
geringen Bodenbonität, eine Fläche von etwa 150 Hektar mit Kartoffeln
bebaut. Auch hier handelte es sich zum Teil um anerkannte
Hochzuchtsorten, die für bekannte Zuchtunternehmen vermehrt wurden. Der
weitaus größere Teil der Ernte wurde auf einem großen Platz in der Nähe
der Brennerei eingemietet, um dann in dieser Anlage zu Spiritus und
Kartoffelmehl verarbeitet zu werden. Täglich ritt mein Vater über die
Felder, um sich einen Eindruck von dem Fortgang der Arbeiten, dem
Zustand des Ackers oder der Feldfrüchte zu machen und nahm dabei jede
Gelegenheit wahr, um ein Gespräch mit den aufsichtsführenden Vögten oder
den Arbeitern zu führen. Kam der Sommer heran, so war es üblich, daß der
Gutsherr auf dem Feld, einem alten Brauch folgend, "gebunden" wurde.
Nach dem Aufsagen des Reimes
"Wir dienen Grafen und Fürsten und trinken wenn wir dürsten sei es Bier
oder Wein es soll unserem Herrn zur Ehre sein"
überreichte die
Vorarbeiterin meinem Vater ein kleines Bukett aus Halmfrüchten gebunden
mit einer bunten Schleife. Das Einbringen der Ernte bedeutete einen
besonderen Höhepunkt und wurde, auch durch den Einsatz vieler junger
Helfer, die das "Anfahren" übernahmen, glücklich geschafft. Das
Erntefest versammelte dann jung und alt vor dem Schloß. Mein Großvater,
später mein Vater, bedankte sich bei allen Mitarbeitern für ihre
Leistung und dann wurde mit einem Gedicht eine wunderschöne große
Erntekrone von einer Vorarbeiterin überreicht. Gemeinsam sang man mit
Begleitung der Musikanten den Choral "Nun danket alle Gott". Ein großer
Umzug durchs Dorf schloß sich an.
Die folgende Festveranstaltung hatte
das Gasthaus Igel, an der schon beschriebenen Kreuzung gelegen,
vorbereitet und nahm nun die Gäste in seinen Räumen oder in dem schönen
angeschlossenen Garten auf. Dort wurde auch auf dem errichteten und
überdachten Tanzboden eifrig getanzt.
Noch einmal hieß es dann im Herbst
alle Kräfte zusammen zu nehmen, um die Kartoffelernte einzubringen. Die
großen Vorratsroder bewältigten nur einen Teil der Arbeit und es
bedurfte dann vieler, fleißiger Frauenhände, um die anfallenden 50 000
Zentner zu bergen. Im Akkord wurde gearbeitet und für den "Viertelkorb"
gab der Vogt eine Mark aus, die dann bei Fräulein Scheermann im Rentamt
in bare Münze umgetauscht wurde.
Früh schon, Anfang Oktober, setzten die Nachtfröste ein und die Früchte
mußten bis dahin in den Mieten winterfest verpackt sein. In ganz
besonderer Weise ist mir das alljährliche Abfischen der verschiedenen
Teiche in Erinnerung geblieben. Der "Großteich", an der Grenze vor Groß
Woitsdorf, in einer idyllischen Umgebung gelegen, war besonders
fischreich. Die Fluder wurden geöffnet und zurück blieb im seichten
Wasser und Schlamm zappelnd eine große Anzahl Karpfen und Hechte, die
nun mit Käschern eingefangen wurden. Der Inspektor sortierte, angetan
mit einer langen Gummischürze, auf einem großen Tisch den Fang, der dann
in bereitstehenden Behältern in die Winterteiche abtransportiert wurde.
Ein kleines Feuer brannte abseits, um die durchnäßten Männer
aufzuwärmen. Wir Jugendlichen zauberten aus unseren Taschen Kartoffeln
hervor, die wir dann in der Holzglut rösteten und mit großem Behagen
verzehrten.
|
Spätestens im Dezember setzten dann stärkere Fröste und oftmals auch
schon Schneefall ein. In den Scheunen brummten die Dreschmaschinen und
große Holzstöße kleingehackten Holzes hinter den Wohnhäusern bei den
Stallungen kunstvoll aufgeschichtet, zeugten davon, daß sich die
Familien auf einen kalten Winter wohl einzurichten wußten. Die Jugend
des Dorfes versammelte sich entweder auf dem Eis des Schäferteiches bei
der evangelischen Kirche oder auf dem sogenannten Hofteich. Sommertags
waren hier die Gespannführer mit Pferd und Wagen hindurchgefahren,
nicht nur zur Erfrischung der Tiere, sondern auch um das Austrocknen der
Ackerwagenräder zu verhindern.
Im Wald wurde der umfangreiche
Holzeinschlag vorgenommen, wobei nach genauer Absprache mit meinem
Großvater oder Vater, Oberförster Urban die Aufsicht führte. Vor und
nach Weihnachten fand dann jeweils eine Niederwildjagd statt. Eine
detaillierte Beschreibung, dieser in jagdlichen Kreisen hochgeschätzten
Ereignisse, würde den Rahmen des gestellten Themas sprengen. Nur soviel
ist erwähnenswert und gibt Auskunft über den Wildreichtum sowie
fachkundliche Hege der Verantwortlichen, daß in den guten Jahren, die
vor meiner Erinnerungszeit liegen, über 1000 Stück Niederwild zur Strecke
kamen.
Jetzt im Winter war es auch die rechte Zeit für das Eisfahren.
Das große Eishaus an der Straße zur Brennerei gelegen, mußte mit vielen
Wagenladungen voller Eisstücke gefüllt werden. Das in besonderer Weise
isolierte Gebäude diente mit den rückwärtig gelegenen Wildkammern das
ganze Jahr über zur Aufbewahrung der für den Verzehr oder zum Verkauf
bestimmten Stücke Wild.
Zum Weihnachtsfest versammelte sich die
Dorfbevölkerung zu den kirchlichen Andachten im evangelischen oder
katholischen Gotteshaus. Für die Kinder der auf dem Gut beschäftigten
Arbeiter war in der sogenannten Kleinkinderschule eine
Weihnachtsbescherung vorbereitet und kaum einer der Beteiligten, ob
Kinder oder Eltern, wird je diese Feierstunde und Glückseligkeit in der
niedrigen Stube dieses schlichten Hauses vergessen können. In der
evangelischen Schule fanden sich die Schüler beider Konfessionen zur
Weihnachtsfeier ein. Die Kinder des Gutes erhielten kleine Geschenke und
alle einen großen Pfefferkuchenmann. Lehrer Sprotte hatte einen
dreistimmigen Chor eingeübt und erfreute meines Vaters Familie mit den
schönen alten Weihnachtsliedern. Solange Herr Sprotte Organist war, sang
der Chor auch zur Christnacht in der evangelischen Kirche.
|
Hoher Besuch in der katholischen
Pfarrei in Rudelsdorf im August 1934. Adolf Kardinal Bertram,
Fürsterzbischof von Breslau mit Dr. Hans von Korn-Rudelsdorf (Patron der
ev. und kath. Kirche in Rudelsdorf) und dessen Sohn Stanislaus von
Korn-Rudelsdorf im Hintergrund, im Gespräche mit Pfarrer Steinfels, der
beim Einmarsch der Russen von russischen Soldaten erschossen wurde.
Kardinal Bertram wurde am 14. März 1859 in Hildesheim geboren, 1881 zum
Priester geweiht, war ab 1894 Domkapitular und 1905 Generalvikar. Unter
Papst Pius X. erhielt er am 15. August 1906 die Weihe zum Bischof von
Hildesheim. Papst Benedikt XV. berief den Oberhirten von Hildesheim im
September 1914 zum Fürstbischof von Breslau und ernannte ihn im Dezember
1916 zum Kardinal. Im August 1930 erhob Papst Pius der XI. den Kardinal
zum Erzbischof Kardinal Bertram war seit 1920 Vorsitzender der Fuldaer
Bischofskonferenz und als solcher einer der führenden Männer des
deutschen Episkopats und der katholischen Aktion. Nebenher war er ein
fruchtbarer religiöser Schriftsteller. Er kannte fünf Päpste: Leo XIII.,
Pius X., Benedikt XV., Pius XI. und Pius XII. Auf Kundgebungen und in
Hirtenbriefen erhob er seine Stimme gegen den Nationalsozialismus. Er
erlebte zwei Weltkriege, die Flucht und Vertreibung seiner Diözesanen,
das Martyrium Schlesiens und die Zerstörung der Stadt Breslau. Als er am
6. Juli 1945 auf Schloß Johannesberg bei Jauernig starb, war er 86 Jahre
alt.
|
Später
übernahm dann Fräulein Hanna Pahl, die Tochter des pensionierten
Inspektors, das Amt des Organisten. Nach dieser Schilderung eines
Jahresablaufs aus der Sicht der Geschehnisse auf dem Gut, möchte ich nun
überleiten in einen etwas allgemeiner gehaltenen Teil der
Dorfbeschreibung. Rudelsdorf lag auf einem Hochplateau in einer Höhe von
200 m ü. NN. Das kontinentale Klima mit kalten, oft langen Wintern und
heißen Sommern, bestimmte den Witterungsablauf. Nach drei Seiten war der
Ort von großen Waldflächen umgeben, die bis etwa 1000 m an das Dorf
heranreichten. Nur nach Südosten öffnete sich der Waldgürtel, in dessen
Mitte sich der feuchte Niederungsbereich der Weide hinzog. Dieser
Nebenfluß der Oder entsprang im Rudelsdorfer Wald, im Jagen 45, wenige
100 m südlich der Festenberger Chaussee.
Es hat wohl schon seit langer
Zeit zwei konfessionell getrennte Schulen im Dorf gegeben, bedingt durch
einen etwa 40%igen katholischen Anteil der Bewohner. Etwa um die
Jahrhundertwende wurde diese einfache, holzverkleidete einklassige
katholische Schule am gleichen Platz durch einen Massivbau ersetzt.
Hier war gleichfalls
die Lehrerwohnung vorgesehen. Die evangelische "Hauptschule" war,
wahrscheinlich auch bis zur Jahrhundertwende, in der späteren
Schwesternstation eingerichtet, eine zweite, recht primitive Art
existierte hinter dem katholischen Pfarrhaus. Ein Neubau an der Chaussee
nach Groß Wartenberg mit zwei Lehrerwohnungen, erfüllte dann die
gestiegenen Ansprüche nach besseren pädagogischen Voraussetzungen.Die
größeren Schulen waren nun auch in der Lage, die Kinder aus den
umliegenden Dörfern Radyne, Ellguth und Dyhrnfeld mit aufzunehmen. Die
schon erwähnte Schwesternstation war eine Einrichtung, die vom Gut
getragen wurde. Eine Diakonisseschwester vom Breslauer Mutterhaus
Lehmgruben pflegte die Kranken und betätigte sich gleichzeitig auch als
Kindergärtnerin. Hier konnten die Familien der Gutsarbeiter ihre Kinder
einer sicheren Obhut übergeben.
Eine katholische Kirche in Rudelsdorf
hat es schon im Jahre 1322 gegeben. Im Jahre 1922 wurde das 600jährige
Jubiläum in Anwesenheit des Fürstbischofs aus Breslau gefeiert.
Nach der
Reformation wurde das Gotteshaus vorübergehend von protestantischen
Gläubigen benutzt. Wie alt der heute noch bestehende Kirchenbau ist,
läßt sich nicht mehr feststellen. Der letzte katholische Geistliche hat
mit viel Hingabe und auch mit einer gewissen künstlerischen Begabung den
Innenraum in Eigenarbeit selbst neu gestaltet und farbig ausgeschmückt.
Um die Kirche herum lag ein alter Friedhof, auf dem neben einer Reihe
von Geistlichen auch ein Vorfahr meiner Familie begraben wurde.
Ein
bedeutendes Ereignis im katholischen Kirchenleben unseres Dorfes fällt
in meine Erinnerungszeit. Im August 1934 besuchte Fürst Erzbischof Adolf
Kardinal Bertram aus Breslau seine Pfarrgemeinde in Rudelsdorf. Mein
Großvater, als Patron beider Konfessionen, und auch mein Vater nahmen an
dem festlichen Empfang teil (siehe Abbildung). Eine im Jahre 1973
veröffentlichte Laudatio würdigt diesen 1859 in Hildesheim geborenen
Geistlichen als eine der bedeutendsten und profiliertesten
Persönlichkeiten des katholischen Deutschland des 20. Jahrhunderts. Er
erlebte die Flucht und die Vertreibung seiner Diözesanen, das Martyrium
Schlesiens und die Zerstörung
|
Kardinal Bertram 1934 in Rudelsdorf
|
der Stadt Breslau. Die Festschrift stellte fest, daß am 6. Juli 1945 mit
Adolf Kardinal Bertram das deutsche Schlesien starb.
Eine evangelische Kirche wurde erst im Jahre 1900 von meinem Großvater
gebaut. Zunächst entstand eine Kapelle, ein Gebäude ohne Turm und mit
flachem Pappdach. Die Gestalt der richtigen Kirche bekam sie 1903 durch
den Bau des Turmes und des hohen Ziegeldaches. Unter dem deprimierenden
Eindruck der großen Dürre 1904, ließ mein Großvater auf dem Rundbogen
über der Altarapsis den Spruch "Dein Wille geschehe" und über dem
Ausgang "Befiehl dem Herrn Deine Wege" anbringen. Den Hintergrund des
Altarraumes bildeten drei große bunte Fenster. Sie zeigten im unteren
Teil jeweils ein Wappen: Das mittlere das des Spenders, des Prinzen
Biron, rechts und links waren die Wappen der Familien von Korn und von
Lüttwitz dargestellt. Ein Harmonium unterstützte den Gemeindegesang.
Später, Ende der dreißiger Jahre, wurde eine Orgel installiert. An
Stelle einer Kanzel stand links vor dem Altarraum ein Lesepult. Die
Christfeier, am 24. Dezember, war nicht nur für die Kinder ein besonders
festliches Ereignis.
Ein viele Meter hoher, über und über mit Kerzen
geschmückter Tannenbaum stand im Altarraum. Als einzige Beleuchtung
strahlten viele Kerzen in den Bankreihen. Wenn dann in den Glockenton
hinein das helle Schlittengeläut erklang, das die Ankunft des
Geistlichen aus Groß Wartenberg ankündigte, dann zog in alle Herzen
Weihnachtsstimmung ein.
Die evangelische Kirche lag an der Chaussee
gegenüber dem Schäferteich, unmittelbar neben der Mauer, die die
Schloßgärtnerei begrenzte. Hinter dem Kirchengrundstück schloß sich
unser Familienfriedhof an, auf dem meine Urgroßeltern begraben waren
und meine Großmutter ihre letzte Ruhe fand.
Etwa in der Mitte des
Dorfes, umgeben von der weitläufigen Anlage eines gepflegten Parkes
stand das Schloß. Dem alten Wohnhaus aus dem 18. Jahrhundert wurde 1827
eine Etage aufgesetzt. Diesem Mittelbau wurde 1889 (kurz vor der Heirat
von Hans von Korn mit Lidy Freiin von Lüttwitz) ein nach Süden gelegener
Flügel angebaut. Als Gegenstück dazu entstand 1898 ein entsprechender
Flügel auf der Nordseite. 1907/08 kam nach Süden ein weiterer Anbau
dazu,
|
Schloß Rudelsdorf
|
mit einem großen Festsaal. Ein Turm mit rundem Helm prägte von nun an
die Silhouette des Dorfes neu.
Vor der Jahrhundertwende war die Post in der Gastwirtschaft Igel, in der
sogenannten Poststube untergebracht. Etwa 1912 gab es dann gegenüber der
Schwesternstation ein richtiges Postgebäude, in dem sich auch die
Dienstwohnung des Postbeamten befand. Ein gelber Postwagen, von einem
Pferd gezogen, vermittelte einmal täglich die Verbindung zur Bahnstation
in Stradam. Später wurde die Strecke von modernen, motorisierten
Fahrzeugen befahren, die als sogenannte Postomnibusse die Beförderung
von Personen mit der zweimal täglichen Postzustellung verbanden. Recht
mühsam war für die Landwirtschaft und
alle Gewerbetreibende der Weg von und zur Bahnstation. Von dem 10 km
entfernten Stradam führte die Eisenbahnstrecke östlich nach Kempen und
Ostrowo und in westlicher Richtung nach Oels, von wo man dann nach
Umsteigen in eine andere Linie die von Rudelsdorf 50 km entfernte
Hauptstadt Schlesiens, Breslau, erreichte. Erst später, etwa 1910, wurde
das 7 km entfernte Bukowine an die Bahnstrecke Großgraben-Neumittelwalde
angeschlossen. Im Zuge einer Bahnlinienerweiterung war auch geplant,
nahe vom Vorwerk Radine eine Station für eine neue Strecke
Neumittelwalde - Namslau einzurichten, jedoch beendete der Kriegsbeginn
1939 die Fortführung dieser Arbeiten. Täglich fuhr vom Gut ein
gummibereifter Pferdewagen die Milch der etwa 80 Kühe zur Molkerei nach
Stradam.
Bevor die neue Zeit mit Kolonialwarenläden, Fleischerei und
Bäckerei in Rudelsdorf ihren Einzug hielt (etwa um 1910) war vieles
anders: Als wichtige Verbindung zur Außenwelt betätigte sich die
sogenannte "Semmelmuttel". Ein- bis zweimal in der Woche kam sie aus
Festenberg ins Dorf und zwar zu Fuß! Sie lief die etwa 10 km hin und
ebenso wieder zurück über Gahle, durch weite einsame Waldstrecken, ihre
"Ware" in einem ausgedienten Kinderwagen vor sich her schiebend, bei
Wind und Wetter. Da sie in der Hauptsache Semmeln beförderte, blieb der
Name Semmelmuttel an ihr hängen.
In meinem letzten Abschnitt über
Rudelsdorf möchte ich noch einiges sagen über die Menschen, die in
meiner Erlebniszeit mit dazu beitrugen, dem Ort sein Gepräge zu
verleihen. Das soll natürlich gegenüber anderen, nicht Genannten, keine
Wertmessung sein. Auch über Festlichkeiten, Ereignisse und verschiedene
Einrichtungen werde ich noch etwas erzählen.
Ich sehe Inspektor Pahl mit
seinem Einspänner über die Felder fahren, sein junger Nachfolger, Herr
Brandt, war mit seinem Kleinkraftrad ständig unterwegs. Fräulein
Scheermann, bewährte Kraft im Rentamt, war die Stütze meines Vaters bei
allen Büroarbeiten und im Aufgabenbereich des Amtsvorstehers, dessen
Pflichten mein Vater ebenfalls zu erfüllen hatte. Hier wurden Löhne
errechnet und ausgezahlt, sowie die gesamte Buchhaltung geführt.
Oberförster Urban wohnte idyllisch außerhalb des Dorfes an der Chaussee
nach Oels auf einem Forsthof mit einem Forstgebäude im oberbayrischen
Stil mit umlaufendem, hölzernen Balkon. Ihm war es vergönnt, im Herbst
1944 den wohl besten und stärksten Hirsch, der in der Rudelsdorfer Forst
je zur Strecke kam, zu erlegen. Südwärts der Chaussee nach Oels, dort wo
sich der Wald öffnete und die bis zum Großteich sich hinziehenden
Waldwiesen begannen, wohnte Waldarbeiter Gänsel mit seiner Familie.
Stille, scheue Kinder waren es, die jeden Tag von dort ihren langen Weg
durch den Wald liefen, um die Schule zu besuchen. Kaum bemerkt von uns
Schulkameraden, verschwanden sie dann wieder.
Diesem Haus gegenüber
pflanzte mein Ururgroßvater im Jahre 1876 anläßlich des 50jährigen
Besitzjubiläums 50 Eichen, die in meiner Erinnerungszeit zu einem
stattlichen Hain herangewachsen waren. Ein Gedenkstein mit Inschrift und
Datum erinnerte nachfolgende Generationen an diesen Ursprung. Dort auf den Waldwiesen, in
einem Bestand von mächtigen Eichen, die viele hundert Jahre alt waren,
veranstaltete der Kriegerverein alljährlich das Waldfest. Zuvor zogen
die Veteranen, die Blasmusik voran, durchs Dorf und gaben vor dem Schloß
ein kleines Ständchen. Dann ging es die Kirschallee entlang zum
Festplatz. Da wurden Verkaufsstände aufgebaut, es gab Leckereien für die
Kinder und man vergnügte sich an den im bescheidenen Rahmen aufgebauten
Belustigungen. Nicht wegzudenken aus meiner Erinnerung, bei meinen als
Junge eigentlich täglichen Besuchen, sind Kutscher und Chauffeur Paul
Reimann mit seinen vorzüglich geputzten Pferden und Autos, sowie der
großen Anzahl Kutsch- und Jagdwagen. Stellmacher Kulla und die Schmiede
Soika und Hoppe arbeiteten in ihren modern eingerichteten Werkstätten.
Die ursprüngliche Gutsschmiede lag an der Dorfstraße, die entlang der
Weide führte. Hierzu gehörte als Wohnhaus eines der ältesten Gebäude des
Ortes. Hier machte sich Schmiedemeister Boin selbständig, nachdem eine
neue Schmiede, auf dem Wagenhof, seitwärts des Kuhstalles eingerichtet
worden war, die den erhöhten Anforderungen des mechanisierten Gutes
gerecht werden konnte.
In der katholischen Schule machte Lehrer Blümel die Kinder mit der
Schreib- und Lesekunst vertraut. Gleichzeitig nahm Herr Blümel die
Geschäfte der Spar- und Darlehnskasse wahr. Lehrer Sprotte und Gerlach
waren für den Schulbetrieb in der evangelischen Schule verantwortlich.
Alle Artikel des täglichen Bedarfs konnte man im Dorf einkaufen.
Kolonialwaren gab es bei Herzog, später Richter und bei Jacob. Fleischer
Nitschke hatte wohlschmeckende Kalbasse und an die Semmeln und
Mohnstriezeln von der Bäckerei Klubsch denke ich heute noch zurück, weil
sie unübertroffen waren. Auch im Gasthaus Igel wurden
Schlachterzeugnisse angeboten, verbunden mit einem Glas Sacrauer oder
Kipke Bier. Gegenüber von Igel bestand ein kleiner Wirtschaftshof,
genannt - die Brauerei -. Dort wurde in früheren Zeiten Bier gebraut,
aufgrund des verbrieften Brauereirechts. Im Salon Malcharek konnte man
sich sein Haupt verschönern lassen. Herr und Frau Dettke hatten als
Posthalter viel zu tun. Da war die örtliche
|
Vor dem Schloß auf
der Kutsche von li.: Stanisl. von Korn, Dr. H. von Korn, Kutscher Paul
Reimann. Im Hintergrund August Swiecznik, während 23 Jahre treuer Diener
des Hauses v. Korn.
|
Telefonzentrale zu bedienen und die zweimal täglich ein- und
ausgehende Post abzufertigen bzw. auszutragen. Dabei waren auch
teilweise die umliegenden Dörfer zu bedienen und sein weitester Weg mit
dem Fahrrad war die Strecke nach Groß-Gahle.
Die katholische Pfarrei im Ort betreute Pfarrer Steinfels. Er wohnte
gegenüber seiner Kirche auf einem stattlichen Anwesen, in einem schönen
großen Haus. Mehrere Morgen Land gehörten zum Pfarramt, die von
verschiedenen Bauern der katholischen Gemeinde bearbeitet wurden.
Zum
sonntäglichen Gottesdienst wurde früher von Gemeindevorsteher Kleinert
in einer zweispännigen Kutsche der Vikar aus Ober-Stradam abgeholt.
Nachdem er dann nach seiner Amtsverrichtung im Schloß mit meinen
Großeltern zu Mittag gegessen hatte, wurde er wieder zurückgebracht.
Später hielt den Gottesdienst ein Pastor aus Groß Wartenberg ab, zu
meiner Zeit war es Pastor Werner Seibt, heute Propst in
Neustadt/Holstein. An dieser Stelle sei auch des alten Kirchendieners
Sperling gedacht und seines Nachfolgers August Faden, der nach mehr als
zwanzig Jahren treuer Dienstzeit als Kutscher und Chauffeur meines
Großvaters dieses Amt übernahm.
Auf dem Schäfereihof an der Chaussee
nach Oels, betreute Schäfer Stolper, später sein Enkel Max und im Krieg
dann, neben seiner Tätigkeit als Bauer, Hermann Surek die Schafe.
Zum
Sommeranfang zog die Jugend zum "Sommersingen" von Haus zu Haus. Bunte
Stöcke führten sie mit sich, an denen viele farbige Papierstreifen
hingen. Dann wurde mehr laut als schön gesungen
"Rot Gewand, rot Gewand,
schöne grüne Linden,
suchen wir, suchen wir,
wo
wir etwas finden.
Gehen wir in den grünen Wald,
sing'n die Vöglein jung
und alt,
Frau Wirtin, sind Sie drinnen?
Sind Sie drinnen, komm'se raus,
bring'n se uns ne Gabe raus,
lassen se uns nicht so lange steh'n,
wir
müssen noch a'Häusel weiter gehn."
In einem Korb wurden dann die Geschenke eingesammelt und man zog
zufrieden weiter. Bei der Schwesternstation ging ein schöner breiter
Sandweg nach Osten. Etwa 500 in hinter Rudelsdorf lag der
Gemeindefriedhof. Eingehüllt von alten Bäumen, Büschen und Hecken, sah
man hier die gepflegten Gräberreihen. Der Weg führte dann weiter und
nach knapp einem halben Kilometer erreichte man Radine. Der Ort gehörte
zur Gemeinde Rudelsdorf. Neben dem Rudelsdorfer Vorwerk waren hier
mehrere Bauern ansässig. Am sogenannten Hälterberg, gleich hinter dem
Hof, erhob sich ein allem Anschein nach künstlich angelegter Ringhügel
in runder Form, mit einem Graben umgeben. Der Ursprung dieser Anlage
läßt sich nicht genau feststellen, jedoch ist anzunehmen, daß es sich um
eine Schutzanlage für die Bevölkerung handelte, um sich vor übergriffen
in unruhigen Zeiten zu schützen. Nach Osten war der Ort ganz umgeben von
großen Wiesenflächen, Koppeln, Teichen, Baum- und Buschgruppen. Eine
wunderschöne Landschaft, belebt von zahlreichem Jungvieh und Fohlen, das
auf diesen Anlagen bestens gedieh.
Bevor ich nun zur Schilderung des
letzten schicksalbestimmenden Abschnittes unseres Dorfes komme, möchte
ich nachfolgend ein Bild von meinem Großvater und Vater zeichnen, von
den Männern, die durch Weitblick und Tatkraft Gut und Dorf zu
beachtenswertem Wohlstand verhalfen.
Seit 1661 war es den zahlreichen
Vorbesitzern des Gutes nicht gelungen, den Besitz länger als jeweils
etwa 50 Jahre in einer Hand zu halten. Es waren sicherlich äußerst
schwierige und ungünstige Verhältnisse, unter denen die rationelle
Bewirtschaftung litt. Fehlende Verkehrsverbindungen und geringe
Bodenqualität führten zu extensiver Betriebsführung. Auf großen
Brachflächen weideten die Schafe aus drei Schäfereien, von denen nur die
eine auf dem sogenannten Oberhof bis in die Jetztzeit erhalten blieb.
Zahlreiche Teiche und sumpfige Wiesen waren die Folge fehlender
Meliorationen. Mein Großvater hat dann recht bald in der Erkenntnis für
das Notwendige, entscheidende Maßnahmen eingeleitet:
Mit dem bisherigen
"jungen Mann", Herrn Pahl als Inspektor, wurden erhebliche Investitionen
vorgenommen, die zur Sanierung auf vielen Gebieten führten. So wurde z.
B. der etwa 10-12 ha große "Strachotschin"
|
Neues Haus, mit der
letzten Generation von Korn, die in Rudelsdorf geboren wurde (Hans-
Wilhelm, Wilfried, Ilsabe)
|
Anfang des Jahrhunderts aufgeforstet. Nach
vorheriger gründlicher Entwässerung der total versumpften und
ertraglosen Fläche (z. T. Teiche) durch ein ungewöhnlich tiefes
Grabensystem, entstand ein zunächst vorwiegend jagdlich genutztes
Wäldchen mit sehr wüchsigen Fichten und Erlen. Mehr Stallraum entstand
und mit der verstärkten Viehhaltung verbesserte sich die Bodenqualität.
Mit der Einschränkung der Schafhaltung wurde die Brachwirtschaft
aufgegeben.
Die besondere Liebe zum Wald, die fachgerechte
Bewirtschaftung dieses Betriebszweiges, hat mein Großvater von seinem
Großvater übernommen. Verständlich, daß sich mit dieser Hingabe eine
Hege des Wildes und große Jagdpassion verband. Mit der Erlegung eines
Wolfes im Rudelsdorfer Wald im Jahre 1924, wurde sein Name weit über
Schlesiens Grenzen hinaus bekannt. Während ausgedehnter Reisen, die ihn
nach Nordskandinavien, Ungarn, in die Türkei, Italien, Griechenland und
nach Palästina führten, versäumte Großvater keine Gelegenheit, sein
ständiges Streben nach Wissen, Bildung und Erweiterung des Horizontes zu
erfüllen. Hierfür stand ihm auch seine mit viel Liebe und Sachverstand
zusammengetragene umfangreiche Bibliothek zur Verfügung. Im Regiment der
Leibkürassiere in Breslau diente mein Großvater und wurde nach zwei
Reserveübungen zum Rittmeister ernannt. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges
übernahm er als Chef die Ersatzschwadron des Regiments.
Seine
vielseitigen Interessen und geistige Regsamkeit veranlaßten meinen
Großvater zur Erweiterung seines Betätigungsfeldes. Er ließ sich, noch
vor der Jahrhundertwende, als Kandidat der konservativen Partei zum
preußischen Landtag aufstellen und wurde gewählt. Während seiner
25jährigen Tätigkeit in Berlin erhielt er auch Einladungen an den Hof
und wurde bei einer dieser Gelegenheiten dem Kaiser vorgestellt. Auf der
Klosterschule Schulpforte erhielt mein Großvater eine humanistische
Bildung. Dieses Bildungsideal der griechisch-römischen Antike bestimmte
seinen ganzen Lebensweg. Die edle Menschlichkeit dieser Geistesrichtung
praktizierte er im besten Sinne gegenüber allen Menschen und in seinem
Tun und Handeln. Seine preußische Einstellung prägten sein Wesen vom
einfachen und sparsamen Leben. Zahlreiche Ehrenämter übte er in diesem
Sinne aus, als Patron der evangelischen und katholischen Kirche, als
Amtsvorsteher und Standesbeamter, als Mitglied des Aufsichtsrates der
Reichsmonopolverwaltung für Spiritus in Berlin und als
stellvertretender, im Ersten Weltkrieg praktizierender, Landrat des
Kreises Groß Wartenberg, als Landesältester (Mitglied der "Schlesischen
Landschaft", einer von Friedrich dem Großen gegründeten
Finanzinstitution für Landwirte.) Es war ihm nicht vergönnt, seine
letzte Ruhestätte an der Seite seiner im Jahre 1940 verstorbenen Ehefrau
Lidy, geborene Freiin von Lüttwitz, in Rudelsdorf zu finden. Er erlag im
Alter von 80 Jahren den Strapazen der Flucht am 6. Februar 1945 und
wurde in Goldberg/Schlesien beigesetzt. Mein Vater trat im Jahre 1925
in die Wirtschaftsführung des Rittergutes mit ein und bezog im selben
Jahr das für ihn erbaute "Neue Haus".
Erst 1921 war er aus
siebenjähriger russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, die ihn
durch die Schreckenslager von Sibirien führte.
Eine kurze, aber sehr
intensive landwirtschaftliche Ausbildung befähigten ihn sehr bald,
betriebswirtschaftliche Fehler zu erkennen und auszumerzen. Der hohe
Bestand an Zugtieren wurde radikal abgebaut und schon bald arbeiteten
die ersten Traktoren auf dem Feld. Die Betriebsausgaben konnten durch
Personaleinschränkungen reduziert werden, eine Intensiv-Fruchtfolge
brachte bessere Ernteergebnisse. Herr Brandt, als junger neuer
Inspektor, unterstützte meinen Vater weitgehend bei der Einführung
moderner Wirtschaftsmethoden. Es gelang ihm, den Betrieb ohne Aufnahme
staatlicher Kredite, der sogenannten Osthilfe, erfolgreich aus der
allgemeinen Wirtschaftsmisere heraus zum Erfolg und zu einer Blütezeit
zu führen. Neben der Intensivierung des Feldbaues, durch Anwendung
moderner Düngemethoden und Zwischenfruchtbau, galt seine Aufmerksamkeit
der Viehzucht. Ein in Ostfriesland gekaufter Bulle beeinflußte
entscheidend die neue Zuchtrichtung und bald stand im Kuhstall eine
anerkannt Tbc-freie Herde von 80 Kühen mit absoluten Hochleistungen und
besten Ergebnissen auf den Auktionen. Mit Hilfe eines Jahr für Jahr vom
Landgestüt Fürstenstein zur Verfügung gestellten Zuchthengstes,
entwickelte sich im Pferdestall ein Bestand von reinen Oldenburger
Zuchtstuten, von deren Nachzucht jedes Jahr an die Wehrmacht eine Anzahl
Remonten verkauft wurden. Nach seiner Schulzeit in Oels studierte mein
Vater in Heidelberg, Oxford und Halle und schloß mit dem Staatsexamen
als Referendar der Rechte ab. Als Soldat diente er im Kavallerieregiment
der Leibkürassiere in Breslau. Am 20. November 1914 geriet er als
Leutnant bei einem Patrouillen-Ritt in russische Gefangenschaft.
Mein Vater hat seine Passion zum Beruf des Soldaten nie verleugnet. Sie
verband sich mit der Notwendigkeit und Pflichterfüllung, als er im
Kreis Groß Wartenberg zum Schutz gegen die ständigen übergriffe des
östlichen Nachbarn den Grenzschutz aufbaute, eine paramilitärische
Truppe, die alle Schichten wehrfähiger Männer des Kreises erfaßte.
Nach
mehrfachen Reserveübungen wurde mein Vater zum Major der Reserve
befördert. Als solcher machte er den Einmarsch in Polen mit und war mit
seinem Bataillon maßgeblich an dem Durchbruch durch die Maginotlinie im
Südabschnitt der Westfront beteiligt. Die restlichen Kriegsjahre war er
vom Wehrdienst freigestellt und bemühte sich um die erschwerte
Wirtschaftsführung unseres Betriebes und war beratend auf Nachbargütern
tätig, deren Besitzer eingezogen waren. Nach dem Krieg schuf mein Vater
eine neue Basis für die Familie auf dem Pachthof Vogelsang unseres
Vetters Baron von Oldershausen im Kreis Osterode/Harz. Er starb am 19.
April 1965.
Schon Mitte August 1939 kündigte sich das Kriegsgeschehen in
Rudelsdorf und in der ganzen Umgebung an. In den meisten Häusern waren
Soldaten einquartiert und der Wald steckte voller Fahrzeuge mit
Kriegsgerät. Im Schloß hatte sich der Armeestab des General Ulex
einquartiert und hinter dem Park landeten auf dem Kleefeld
Kurierflugzeuge. Später dann, nach dem 1. September, dröhnten Tag und
Nacht Fahrzeugkolonnen gen Osten durch unseren Ort. Einberufungen zum
Wehrdienst, Fahrzeugstillegungen, Treibstoff- und Materialbeschränkungen
aller Art, verminderten die Aktivitäten in allen Bereichen des
dörflichen Lebens. Hinzu kam ab etwa 1943, eine immer größer werdende
Anzahl von "Bombenflüchtlingen", Familien, die im Rheinland ihr Hab und
Gut verloren hatten und die nun in Rudelsdorf eine Notaufnahme fanden.
Dann setzte der Winter 1944-1945 ein. Es fielen Schneemassen und das
Thermometer sank unter minus 15 Grad. Die Nachrichten von der Front
wurden immer bedrohlicher. Mit Macht rückten die russischen Truppen auf
die schlesische Grenze zu. Alle wehrfähigen Männer standen längst unter
den Waffen, polnische Arbeiter waren an die Stelle der deutschen
getreten. Immer noch verhinderte die Parteileitung die Organisation
eines Trecks, oder gar den Abtransport von Frauen und Kindern. Bis dann
am 20. Januar die Dämme brachen:
Russische Panzer standen unmittelbar
bei Neumittelwalde und konnten in wenigen Stunden das Dorf erreichen.
Mit fast 30 Pferden und Wagen des Gutes verließen die Einwohner ihre
Heimat, ihr ganzes Hab und Gut bestand nur aus dem Notwendigsten. Mein
Vater blieb bis zum 23. Januar und floh mit den letzten Getreuen,
darunter Oberförster Urban, Lehrer Blümel und einigen Siedlern aus
Bischdorf, auf abenteuerlichen Wegen nach Westen. Unter den wenigen
Zurückgebliebenen gab es Verluste. Das Ehepaar Buchner, Pfarrer
Steinfels und seine Haushälterin, Herr Mathysek aus Radine. Schäfer
Surek überlebte und wurde später ausgewiesen. Viele Häuser sind zerstört
worden oder gingen in Flammen auf, darunter das Schloß, Brennerei,
Gasthaus Igel, das Haus von Schuhmacher Wiezorek, die Bäckerei, Post,
katholisches Pfarrhaus, katholische Schule und andere.
Die vielhundertjährige Geschichte eines Dorfes und damit das Ergebnis
des Schaffensfleißes von vielen Generationen fanden ihr Ende. Die Heimat
als elementarer Wert einer zivilisierten Welt war das Opfer.
Impressum
/ Rolf's Email
/ Rolf's Homepage
/ Kreis Groß Wartenberg
/ Buch Inhalt