Groß Wartenberg bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges
Von Karl Waetzmann +
An der Postbrücke
Groß Wartenberg war zwar eine kleine, aber doch wichtige Festung, mit
Mauer, Wall und Graben umgeben, die den allzeit unruhigen östlichen
Völkerschaften Widerstand geleistet hat. Teile der alten Stadtmauer
bestanden noch bis in die letzte Zeit, und Graben und Wall umgürteten
noch immer einen Teil der Stadt. So ist es bis zum Ausgang des Zweiten
Weltkrieges geblieben. Von der Bahnhofsstraße kommen wir über
den Wallgraben und die Postbrücke in die Stadt. Hinter der Brücke,
rechts, ist das Postgebäude zu sehen. Es ist im Tudorstil erbaut und
Eigentum der prinzlichen Herrschaft. Die Post ist Mieter. Anschließend
die evangelische Schloßkirche zu St. Peter und St. Johannes. Diese
große, geräumige Kirche ist unter zwei Prinzen, Johann und Peter Biron
von Curland, im Jahre 1789 von Langhans dem älteren erbaut. Er baute u.
a. die Kirche seiner Vaterstadt Landeshut in Schlesien, die Kirchen zu
Reichenbach, Waldenburg, Wohlau und den Kirchturm der evangelischen
Kirche zu Nieder-Salzbrunn. Auch das Brandenburger Tor in Berlin ist
seine Schöpfung. Sein Sohn, Langhans der Jüngere, baute die
Elftausend-Jungfrauenkirche zu Breslau. Zwischen dem nun folgenden
Schloß und der Kirche liegt der Konfirmandensaal, Betsaal genannt, wo
kleine kirchliche Amtshandlungen gehalten wurden und der Kirchenchor
seine übungen abhielt. Das große Schloß beherrschte das Stadtbild. Der
Platz vor der evangelischen Kirche war der Königin-Luise-Platz. Am
Gästehaus des Gasthauses "Zum Eisernen Kreuz" ist eine schwarze
Marmortafel gut sichtbar eingemauert. Sie trägt die Inschrift: "Der
unvergeßlichen Königin Luise von Preußen brachte auf diesem Platze am
21. Juni 1798 die Stadt Groß Wartenberg als erste der Städte Schlesiens
ihre Huldigung dar." Folgende Begebenheit war der Anlaß: König
Friedrich-Wilhelin III. von Preußen machte mit seiner Gemahlin Luise
1798 am russischen Hofe zu Petersburg einen Staatsbesuch. Sie waren zu
Wagen auf der Rückfahrt. In Kempen, einem posenschen Städtchen, trennten
sich die Monarchen. Der König fuhr mit seinem Minister von Reden nach
Oberschlesien, um neuerschlossene Gruben zu besichtigen. Die Königin
setzte mit ihrer Hofdame, der Gräfin Voß, ihre Reise nach Hause fort. So
kam sie auch nach Groß Wartenberg und wurde vor der Kirche auf diesem
Platze von den Einwohnern herzlich begrüßt. Am Königin-Luise-Platz
(ehemals deutsches Tor) teilten sich die Straßen. Rechts Schloßstraße,
links Friedrichstraße. Beide Straßen münden auf dem Ring, den das
Kriegerdenkmal schmückte. Die Verlängerung der Schloßstraße ist die
Hindenburgstraße. Die Verlängerung der Friedrichstraße ist die
Wilhelmstraße. An der Ecke bei der Konditorei Mantel treffen sich
Wilhelmstraße und Kirchstraße. Hier erblicken wir den Glockenturm. Er
war ehemals ein Wachturm der Festung und stand jahrhundertelang als
ausgebrannte Ruine in der Stadt. Im Dreißigjährigen Krieg wurde er von
den Schweden vom Kanonenberg aus zusammengeschossen. Da die katholische
Pfarrkirche St. Peter und Paul nur einen kleinen hölzernen Glockenturm
für ihre beiden Glocken hatte, überließ die Stadt ihr die Ruine zum
Ausbau als Glockenturm, der der Stadt in seiner ansehnlichen Größe und
klaren Linienführung (gotischer Baustil, wie das renovierte Gotteshaus)
zur Zierde gereichte. Er hatte eine Höhe von 56 Metern. Von seinem
Rundgang aus hatte man eine herrliche Aussicht über unsere waldreiche,
etwas hügelige Gegend und die Ausläufer des schlesischen Landrückens (er
hieß hier Katzengebirge) mit dem Markusberg.
Die Hindenburgstraße, Südseite
Dort stand ein altehrwürdiges Kirchlein, ein Schrotholzbau, dem heiligen
Markus geweiht. Es war ein beliebter Wallfahrtsort, und das Markusfest
wurde stets mit großem Gepränge und viel Beteiligung gefeiert. Bei
unserer Nachbarstadt Neumittelwalde erhebt sich der Korsarenberg. Nach
Nordwesten ziehen sich die Trebnitzer Höhen, bis zur schlesischen
Weinstadt Grünberg. Viele hohe Persönlichkeiten haben in den Mauern der
Stadt geweilt. Fürst Blücher, der Marschall "Vorwärts", war bei dem
Prinzen Biron zu Besuch. Er nahm an einem Schützenfest teil und tanzte
am Abend im Saal des Gasthauses "Zum Eisernen Kreuz" mit den
Bürgerfrauen. König Friedrich-Wilhelm III., der zu einem Lustlager nach
Warschau reiste, war einige Stunden in der Stadt. In seiner Begleitung
war sein ältester Sohn, der spätere König Friedrich-Wilhelm IV. und
dessen Bruder, der nachmalige Kaiser Wilhelm I. Sehr oft sahen die
Bürger der Stadt bei den großen Jagden im Herbst den König von Sachsen.
Auch Kaiser Friedrich III. weilte als Kronprinz zu Besuch im Schloß. Die
Eltern des Generals der Artillerie von Gallwitz wohnten in der Stadt.
Der Vater, Landmesser von Beruf, wurde von Breslau nach hier versetzt.
Die Eltern starben hier und wurden auf dem Friedhof beigesetzt.
Groß Wartenberg: Gesamtansicht
Als
Knabe besuchte er die katholische Stadtschule und später das
Matthiasgymnasium zu Breslau. Hier machte er 1870 das Abitur und trat
als Freiwilliger in ein Artillerie-Regiment ein. Er kam später oft zu
den Gräbern der Eltern. Dabei verfehlte er nie, seinen Jugendfreund, den
späteren Hauptlehrer und Kantor Joseph Franzkowski zu besuchen. Dieser
stille Mann und Geschichtsforscher hat in 10jähriger mühevoller Arbeit
die "Geschichte der Freien Standesherrschaft der Stadt und des
landräthlichen Kreises Groß Wartenberg" geschrieben (1912). Der
Wahlspruch der Stadt: "Ut virtus civium sic floreat urbis fortuna", zu
deutsch: "Wie die Tugend der Bürger, so blühe das Glück der Stadt."
Dieser
Spruch war in altgotischen Lettern in lateinischer Sprache in eine
Marmortafel gehauen und über der Tür zum Rathaus angebracht. Das
Stadtwappen war ein Reiter mit Horn. An der gegenüberliegenden Seite des
Rathauses war eine Marmortafel mit der Inschrift: "Abgebrannt im Juli
1813, aufgebaut im Juni 1818 durch J. H. Otto. Die Zahl 1818 war auf der
Wetterfahne des Rathausturmes ebenfalls zu sehen.
Der unglückliche Ausgang des ersten Weltkrieges und der darauf folgende
Friedensvertrag traf den Kreis Groß Wartenberg in seiner ganzen Härte.
Die neue Grenze riß das jahrhundertealte Kreisgefüge auseinander. Mehr
als ein Drittel der Kreisfläche mit einer rein deutschen Bevölkerung
wurde ohne Abstimmung an den neugeschaffenen Staat Polen geschlagen.
Alle Proteste nützten nichts.
Blick auf das Prinz Biron von Curlandsche Schloß und die Schloßkirche
Aus einem ehemaligen Binnenkreis wurde
ein Grenzkreis. Ganz besonders hart wurden die Kreisstadt und das
Städtchen Neumittelwalde betroffen. Die neue Grenze verlief unmittelbar
hinter den beiden Städten, so daß das gesamte Hinterland verloren ging.
Damit war das gesamte Wirtschaftsleben fast stillgelegt. Ein Erfolg der
unermüdlichen Aufklärungsarbeit des damaligen Landrats von Reinersdorff
war es, daß von seiten des Reiches und Staates Mittel zur Linderung der
wirtschaftlichen Notlage bereitgestellt wurden.
Im Januar 1945 näherten sich russische Panzer vom Typ T 34 von
Litzmannstadt (Lodz) kommend der Stadt. Die sogenannte
Barthold-Stellung, die nur ganz schwach besetzt war, konnte sie nicht
aufhalten. Vor
den Toren der Stadt fanden Kämpfe statt. Es gab schwere Verluste. Die
russischen Panzer drängten nach Breslau und haben, ohne sich lange
aufzuhalten, die Stadt durchquert. Beide Kirchen haben wenig Schaden
genommen, ebenso auch die Schulgebäude. Die Stadt wurde später durch
Brände zur Hälfte in Schutt und Asche gelegt. Auch das Rathaus wurde von
den Polen abgebrannt. Die Ruine wurde abgerissen. An der gleichen Stelle
ist ein Schmuckplatz mit Blumenbeeten und dem "Befreiungsdenkmal"
angelegt. Das schöne große Schloß ist ebenfalls ausgebrannt und die
Ruine dem Erdboden gleich gemacht. Mit dem Schloß sind unersetzliche
wertvolle Kunstschätze vernichtet worden. Die entstandenen Grünanlagen
am gleichen Platze sind kein Ersatz für die der Stadt zugefügten Lücken
und Schäden.