|
Der Kreis und die Nachbarkreise |
Lage und landschaftliche Gliederung
Von Franz Thomale
Der Kreis Groß Wartenberg zählte zu den kleinsten Landkreisen unserer
schlesischen Heimat, wurde er doch nach dem 1. Weltkriege durch den
Vertrag von Versailles ohne Abstimmung, und ohne daß in ihm jemals eine
polnische Minderheit gelebt hätte, in zwei Teile zerrissen. Die östliche
Hälfte wurde zu Polen geschlagen. Dadurch gingen ihm von ehemals 95
Ortschaften 41 verloren. Die Einwohnerzahl sank von 49 000 auf 27 000.
Zwei Städte, Groß Wartenberg und Neumittelwalde, wurden am schwersten
betroffen. Die Kreisstadt verlor die Hälfte ihres unmittelbaren
Umkreises, Neumittelwalde sogar drei Viertel. Aber auch Festenberg ging
seines Hinterlandes verlustig, auf das es als Tischlerstadt mit 171
selbständigen Tischlerei-, Drechslerei- und Holzbildhauerbetrieben
angewiesen war.
Die Grenzziehung schockte die Bewohner des Landkreises
und grub dieses Erlebnis tief in ihr Bewußtsein, wurden doch häufig
Verwandtschaftsbande zerschnitten, Freundschaften beendet und
wirtschaftliche Verbindungen zerstört.
Aber auch der Kulturlandschaft
wurden Wunden geschlagen: Straßen bewuchsen bald mit Gras, Brücken
verfielen und Eisenbahnlinien wurden stillgelegt. Die Anzahl der
Grenzübergangsstellen wurde eingeschränkt, was zu großen Umwegen für
jene führte, die trotz allem den Kontakt zu "drüben" aufrechterhalten
wollten. Zuletzt bestanden Zollämter nur noch in Wedelsdorf,
Hirschrode/Neumittelwalde und Klein Kosel.
Die Interalliierte Kommission,
welche die neue Grenze festlegte, kümmerte sich wenig um die natürlichen
Gegebenheiten, so daß es zu Unsinnigkeiten kam wie etwa in Mühlenort
nordöstlich von Groß Wartenberg, wo der Teich einer Wassermühle auf
polnischem Staatsgebiet lag.
Aus der Gebietsabtretung erklärt sich die
langgestreckte Form des Landkreises.
Die Nordsüdausdehnung von Alt-Glashütte bis Dalbersdorf betrug 41 km,
die Westostausdehnung von Erlengrund bis Kraschen/Dombrowe 23 km. Die
östliche Grenze des Kreises war zugleich die deutsch-polnische
Staatsgrenze in einer Länge von rund 60 km.
Die Grenze zum nördlichen
Nachbarkreis Militsch war 31 km lang. Der Kreis Trebnitz berührte nur
mit einem Zipfel von 6 km Länge den Kreis Groß Wartenberg, während die
Grenze zum westlichen Nachbarkreis Oels mit 38 km die längste war. - Im
Süden schloß sich der Kreis Namslau an auf einer Strecke von 8 km. Die
insgesamt rund 145 km lange Kreisgrenze umschloß 43 000 ha Land mit den
drei Städten Groß Wartenberg (3089 Einwohner), Festenberg (3861
Einwohner) und Neumittelwalde (1649 Einwohner). Von den 51 Landgemeinden
waren Schleise (1079 E.), Goschütz (1067 E.) und Kunzendorf (1016 E.)
die größten. Insgesamt lebten nach der Zählung von 1939 im Landkreis 27
525 Einwohner.
Die Verkehrsverhältnisse waren ungünstig. Durch die Gebietsabtretung
rückte die Kreisstadt an den östlichen Rand und konnte mit der
Eisenbahn nur über das 25 km entfernte Oels erreicht werden. (Oels
Zessel - Gimmel - Stradam - Groß Wartenberg). Eine zweite
Bahnstrecke führte von Oels über Großgraben, Festenberg und
Buchenhain nach Neumittelwalde. Beide Strecken waren bei der
Festlegung der neuen Staatsgrenze durchschnitten worden. Deswegen
war die Frequenz im Personenverkehr auf diesen Strecken relativ
gering. Nach den von der Reichsbahndirektion Breslau getroffenen
Feststellungen für das Jahr 1929 fuhren ab:
von Neumittelwalde 68.000
von Festenberg 52.000
von Groß Wartenberg 40.000
von Stradam 27.000
von
Buchenhain 16.000 Fahrgäste.
Vermutlich haben sich diese Zahlen in
den nachfolgenden Jahren nicht wesentlich erhöht. Zwar bewirkten
wirtschaftlicher Aufschwung und größere personale Fluktuation
(Bautätigkeit, Reichsarbeitsdienst, Wehrmacht u. a.) ein höheres
Verkehrsaufkommen, doch wurde es durch die einsetzende stärkere
Motorisierung von der Schiene abgezogen. Das Straßennetz des Kreises
war relativ gut ausgebaut. Es gab zwei Nordsüdverbindungen, von
denen eine ungefähr parallel zur deutsch-polnischen Grenze verlief,
während die andere eine westliche Achse bildete. Die östliche führte
von Weidendorf über Neurode - Grenzhammer - Charlottenthal -
Lichtenhain - Lindenhorst - Buchenhain - Distelwitz - Kammerau (hier
nahm sie die von Neumittelwalde kommende Straße auf) Groß Wartenberg
- Schleise - Kunzendorf - Dalbersdorf nach Eichgrund. Sie hatte eine
Länge von etwa 45 km.
Die westliche führte von Charlottenthal an Wildheide vorbei über
Goschütz - Festenberg - Klein-Schönwald (mit Abzweigung nach
Groß-Schönwald und Kieferkretscham) - Groß-Gahle - Rudelsdorf -
Dyhrnfeld/ Groß-Woitsdorf - Ottendorf (von hier Abzweigung über
Langendorf nach Groß Wartenberg) - Stradam - Kunzendorf - Dalbersdorf nach
Eichengrund. Diese Straße hatte eine Länge von 52 km. Die Querverbindung
schafften in westöstlicher Richtung drei Straßen: von (Großgraben)
Festenberg über Goschütz nach Lindenhorst (11 km), von (Oels)
Kieferkretscham über Rudelsdorf - Charlottenfeld und Ossen nach
Neumittelwalde und von (Oels) Görnsdorf über Stradam nach Groß
Wartenberg (13 km).
Trotz dieses Straßennetzes machte sich die Streulage vieler Orte und
Ortsteile nachteilig bemerkbar, etwa bei der Milchlieferung an die
Molkereien, so daß die Transportkosten je Liter Milch höher lagen als
anderswo. Wenn man geographische Fachliteratur über Schlesien liest,
fällt auf, daß der Kreis Groß Wartenberg kaum erwähnt wird, gelegentlich
nur seine Städte, häufiger der Korsarenberg bei Neumittelwalde. Das
hängt damit zusammen, daß das Kreisgebiet den südöstlichen Ausläufer des
schlesischen Landrückens bildet, der so gut wie alle seine
Gegebenheiten, jedoch keine Besonderheiten aufweist. Der schlesische
Landrücken erstreckt sich von den Grünberger Höhen zum Trebnitzer
Katzengebirge und zu den Höhenzügen nördlich von Oels, die sich bis an
die polnische Grenze bei Neumittelwalde hinziehen, um dort im 273 m
hohen Korsarenberge, der höchsten Erhebung des schlesischen Flachlandes,
zu gipfeln. Ein südlich der Grünberger Höhen gelegenes Urstromtal
findet im Osten seine Fortsetzung in der breiten, sandigen Mulde der
Bartschsenke. Sie wird eingeengt durch Moränenwälle, die bei Herrnstadt
und Militsch bis nahe an den Fluß treten. Diese Moränenwälle sind in der
Eiszeit entstanden, als mächtige Gletscher das Untergrundmaterial
zerrieben, in unterschiedlichen Zeitabständen vor sich her schoben und
beim Zurückweichen des Eises jene zumeist bogenförmigen Wälle
|
Kiefernwald bei Hirschrode (Klenowe)
|
zurückließen, zu denen auch u. a. der Festenberger "Judenberg" gehört.
ähnliche Verhältnisse weist der Südrand des Katzengebirges auf, der sich
von Heidewilxen bis Jänschdorf in etwa 20 km Länge erstreckt. Auch hier
lassen flache Endmoränen das Land wellig erscheinen. Doch in den durch
sie gebildeten Tälern findet sich fruchtbarer Löß, der eine Tiefe bis zu
sechs Metern hat. Dagegen sind die Festenberger Höhen als weit weniger
fruchtbare Moränenwälle zu betrachten, denen südlich gewaltige,
mit Kiefernwald bewachsene Sandflächen vorgelagert sind. Der von
Großgraben bis zum Korsarenberg reichende Moränenwall bildet einen
bewaldeten Sandstreifen von 8 - 10 km Breite. - Vom Korsarenberg aus
konnte man nach Osten weit ins polnische Land blicken und bei gutem
Wetter die Endmoränenwälle bei Schildberg erkennen. Im schlesischen
Landrücken wechseln Siedlungsflächen mit Waldgegenden, die je nach
Untergrund Nadel-, vor allem Kiefernwald oder Misch- und Laubwald
tragen. In der Bartschniederung sind wegen des hohen Grundwasserstandes
und wegen des geringen Gefälles große Flächen wochenlang überschwemmt
und gleichen weiten Seen. Diese Teichwiesen wußte man mit einer
hervorragenden Fischzucht von Karpfen und Schleien zu nutzen, die weit
exportiert wurden und insbesondere bei den Schlesiern als
Weihnachtskarpfen beliebt waren. Die Deichdämme waren häufig mit
großbäumigen Eichen bestanden. Einen eigenartigen Reiz übten hier die
wogenden Schleier der Frühsommer- und Herbstnebel auf den Wanderer aus
... und es mag viele gegeben haben, die Goethes "Erlkönig" in diese
Gegend verlegten ...
Obwohl man vom schlesischen Landrücken als
vorwiegend kargem Sandboden sprechen muß, brachte er doch eine
vorzügliche Kartoffel hervor. Er lieferte einen großen Anteil dieses
Hauptnahrungsmittels. Schlesien und die anderen Gebiete östlich von Oder
und Neiße erzeugten nicht nur ihren Eigenbedarf, sondern deckten darüber
hinaus noch den Bedarf für weitere 10,8 Millionen Menschen in
Westdeutschland.
Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der
schlesische Landrücken insgesamt mit seinen sandigen Böden eine recht
karge Ernährungsgrundlage für seine Bewohner bildete, ausgenommen das
Gebiet des nördlichen Nachbarkreises Trebnitz. Es liegt in einer Oase
fruchtbarsten Lößbodens, der gute bis sehr gute Erträge brachte ... und
... Trebnitz zu einem beliebten Ausflugsziel machte.
Wer erinnert sich
nicht mit Wehmut der Schönheit seiner Buchenwälder und der
strahlenförmig auf Trebnitz zulaufenden Alleen, wenn deren Kirschbäume
blühten und einen zauberhaften Kontrast zum jungen Grün der Wiesen und
dem Rostgelb der äcker bildeten. Verständlich, daß gerade hier der Lieblingsaufenthalt der
Herzogin Hedwig, der Gemahlin Heinrichs I. war. Ihr Einfluß war 1202
entscheidend für den Entschluß ihres Gemahls, in Trebnitz das erste
Frauenkloster Schlesiens zu errichten und es mit Benediktinerinnen aus
Bamberg zu besetzen. Erst die Unterordnung des Klosters unter Aufsicht
und wirtschaftliche Führung des Abtes von Leubus (1205) führte 13 Jahre
später zum Anschluß der Neugründung an den Orden der Zisterzienser. Die
Trebnitzer Kirche, im frühgotischen Stil als Ziegelbau mit Hausteinen
errichtet, im 18. Jahrhundert (leider) im Barockstil umgebaut, birgt
die Reliquien der schlesischen Schutzheiligen und ihres Gemahls. Neben
diesem schöneren und wirtschaftlich ertragreicheren Nachbarkreis nimmt
sich unser Heimatkreis ärmlich aus. Sein vorwiegend sandiger Boden hatte
demzufolge äußerst niedrige Grundsteuer-Ertragssätze. Die Ackerfläche
betrug nur 20 000 ha gegenüber der vom Kreis Militsch mit 59 000 ha.
Gewinnbringender Zuckerrübenanbau war nur auf 500 ha möglich, während im
Kreis Trebnitz 3300 ha mit Zuckerrüben angebaut wurden und in
fruchtbareren Gegenden Schlesiens das Vielfache dessen. Schlesien war ja
zum Geburtsland des Rübenzuckers geworden, als Professor Achard auf dem
Gut Kunern im Kreis Wohlau die ersten Zuckerrüben anbaute und im Jahre
1802 dort die erste Zuckerrübenfabrik der Welt errichtete. Das führte in
der Folgezeit dazu, daß Schlesien das Doppelte seines Eigenbedarfs
erzeugte. Auch von diesem Segen blieb unser Kreis ausgeschlossen. Ein
Blick auf die landwirtschaftliche Nutzfläche mit ihrer
Bodendifferenzierung läßt die Gründe hierfür einsichtig werden. Von der
Nutzfläche waren:
3 v.H. schwerer und müder Lehm,
17 v.H. sandiger Lehm,
20 v.H. schwachlehmiger und humoser Sand,
40 v.H. noch kartoffelfähiger
Sand und
20 v.H. trockene Sande, Roggen-Lupineböden.
Das
Kulturartenverhältnis wies 53 v.H. der Kreisfläche als Ackerland, 10
v.H. als Wiese und Weide und 30 v.H. als Wald auf. Der Rest von 7 v.H.
entfiel auf Hofraum, Gewässer und Wege. In diesem von der Natur
gesteckten Rahmen bewegte sich die Anbauflächenverteilung: Roggen und
Kartoffeln bedeuteten die Hauptfrüchte. Man kann sagen,
daß ihre große Anpassungsfähigkeit überhaupt erst die Lebensfähigkeit
der Höfe verbürgte. Sicher ist gerade hier mit besonderer Dankbarkeit
jenes Preußenkönigs gedacht worden, der in genialer Vorausschau den
Kartoffelanbau in sein Land eingeführt hat. Historische Entwicklung und
landschaftliche Gegebenheit führten zu folgenden Betriebsgrößenklassen
an der landwirtschaftlich genutzten Fläche, festgestellt im Jahre 1929:
Zwergbesitz (unter 2 ha) 3,6 v.H.
Kleinbäuerlicher B. (2-5ha) 10,2 v.H.
Mittelbäuerlicher B. (5-20 ha) 27,1 v.H.
Großbäuerlicher B. (20-100
ha) 9,3 v.H.
Großbesitz (über 100 ha) 50,0 v.H.
Der Waldanteil des
Kreises Groß Wartenberg lag mit 30 v.H. über denen der Kreise Militsch
(27 v.H.) und Oels (19 v.H.) Nur auf dieser Grundlage konnte sich die
Festenberger Möbelindustrie entwickeln. Gute Hölzer wurden zu
hochwertigen Möbeln verarbeitet, während schwächere Hölzer zur
Herstellung von Zellstoff, Zellwolle, Papier und Pappe an die
entsprechenden Fabriken in Schlesien verfrachtet wurden. Ein großer
Teil wanderte auch als Grubenholz in das oberschlesische
Industriegebiet. Es sei aber auch nicht vergessen, daß der Wald vielen
Minderbemittelten eine "Zubuße" zum Lebensunterhalt dadurch schenkte,
daß sie in ihm Brennholz auflasen, Beeren pflückten und Pilze sammelten.
So bestimmten Boden- und Betriebsgrößenverhältnisse weitgehend Leben und
Auskommen seiner Bewohner. Sie waren gezwungen, jede sich bietende
Gelegenheit für ein recht bescheidenes Auskommen zu nutzen. Das prägte
den Fleiß und die Genügsamkeit von 10000 Beschäftigten in der Land- und
Forstwirtschaft sowie von 3000 Handwerkern und Gewerbetreibenden. Bei
einem so bescheidenen Lebensstandard erwies sich jedoch einmal mehr, daß
"seine ärmsten Söhne auch seine getreuesten waren!"
Benutzte Literatur:
Wirtschafts- u. verkehrsgeographischer Atlas von
Schlesien. Prof. Dr. W. Geisler, M. u. H. Marcus - Breslau 1932.
Schlesien - Eine Landeskunde für das deutsche Volk. Dr. J. Partsch, 2
Bände, Ferdinand Hirt, Breslau 1896.
Der schlesische Landrücken. Eine
Landeskunde Nordschlesiens, Willi Czajka, 2. Auflage, Steiner-Verlag
Wiesbaden, 1964.
Impressum
/ Rolf's Email
/ Rolf's Homepage
/ Kreis Groß Wartenberg
/ Buch Inhalt