Abb. 5
Groß Wartenberg: Das neue Landratsamt

Aufgaben der Kreisverwaltung während des Zweiten Weltkrieges

Einrichtung von Ernährungs und Wirtschaftsämtern

Von Walter Schön +

Sehr bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zeigte sich, daß eine schwierige Aufgaben-Ausweitung in der Gesamtverwaltung des Kreises erfolgen würde, nämlich: Die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung des Kreises mit Lebensmitteln und allen anderen lebenswichtigen Bedarfs- und Verbrauchsgütern. Es konnte kein Zweifel bestehen, daß diese neuen Aufgaben das Gesicht der Verwaltung, die bislang auf sogenannte "Klassische Aufgaben" ausgerichtet war, wesentlich verändern würden.
Abb. 6
Landschaftsgliederung und Eisenbahnlinien Entwurf u. Ausführung: Dr. Wieland, Festenberg
So entstanden die sogenannten Ernährungs- und Wirtschaftsämter, die Glieder der Kreisverwaltung waren und dem Landrat unterstanden. Sie regelten die Bewirtschaftung von Lebensmitteln, Seifen, Kohlen, Treibstoffen, Schuhwaren, Spinnstoffwaren, später Hausrat und Möbel. Nach und nach wurden alle Verbrauchsgüter erfaßt, die für die Versorgung der Bevölkerung lebenswichtig waren oder infolge der Rüstungsaufgaben nur in geringem Umfange hergestellt wurden. Der Aufbau der Kreisernährungs- und Wirtschaftsämter erfolgte aufgrund vorliegender Gesetze und Weisungen der oberen Reichs- und Provinzbehörden, wobei gegebene geographische und wirtschaftfiche Verhältnisse zu beachten waren. Geographisch gesehen war der Kreis Groß Wartenberg ein Torso. Die Abtretung eines Teiles des Kreises an Polen als Folge des Versailler Friedensvertrages hatte sowohl in bevölkerungspolitischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht seine lähmenden Auswirkungen gezeigt. Die geschlagenen Wunden waren noch längst nicht verheilt, als die neue Katastrophe begann. Der Kreis war durch die Abtrennung zerschnitten und konnte nur mühsam leben. Die Folgen davon waren: eine Rückentwicklung in der Bevölkerungszahl und die Abschnürung der Handelsverbindungen zum östlichen Kreisteil. Die Bevölkerung hatte weder die nötige Kaufkraft noch konnte sie eine gewisse Vorratspolitik betreiben. Der wirtschaftliche Notstand war noch überall zu erkennen. Das bedeutete, daß - und dies gilt ganz besonders für gewerbliche Verbrauchsgüter - laufende Zufuhren notwendig waren. Diese Zufuhren gingen mit Beginn des Krieges nur in sehr geringem Umfang ein, die von vornherein zu erwarten war.

Abb. 7
Bevölkerungsentwicklung Entwurf u. Ausführung.- Dr. Wieland, Festenberg
Die Wirtschaft des Kreises selbst war überwiegend landwirtschaftlich ausgerichtet und nur in Festenberg gab es in beschränktem Umfange eine industrielle Entwicklung (Holzindustrie, Tischlerstadt Festenberg). Die etwa 27 500 zählende Bevölkerung des Kreises lebte in drei Stadt- und 51 Landgemeinden. Die Verkehrsverhältnisse waren - obwohl mit einem gewissen Stolz auf das gut gepflegte Straßennetz des Kreises hingewiesen werden konnte - nicht allzu günstig, weil größere Ortschaften nicht an das Eisenbahnnetz angeschlossen waren. Das Kreisgebilde lag wie ein Sack in nordöstlicher Richtung zur polnischen Grenze mit einer Längsausdehnung von 45 km. Die beiden Eisenbahnlinien durchschnitten in der schmalen Ausdehnung nördlich und südlich den Kreis, ohne für das übrige Gebiet Zubringerdienste erweisen zu können. Der Bau einer Eisenbahnlinie von Süden nach Norden (Namslau-Groß Wartenberg-Neumittelwalde) mußte (obwohl schon begonnen) während des Krieges eingestellt werden. Die Verkehrsfrage spielte in der Versorgung aber eine besondere Rolle. Sie brachte jedenfalls noch eine Menge größerer Schwierigkeiten mit sich, wie sich beispielsweise bei der Versorgung mit Hausbrand- und Industriekohlen zeigte. Aber auch für andere Verbrauchsgüter mußten Transporte von der Schiene auf die Straße umgelegt werden, wobei sich wiederum die Kraftstoff-Verknappung als besonderes Hindernis erwies.
Etwa 10000 Menschen lebten in drei Städten. Von ihnen hatte der größere Teil keine Möglichkeiten, sich zusätzlich Lebensmittel zu beschaffen (Eigengarten u. ä.).
Abb. 8
Groß Wartenberg, Amtsgericht u. Kriegerdenkmal

Auf dem gewerblichen Sektor waren die Schwierigkeiten noch wesentlich größer. Die Zuteilungen von Spinnstoffen, Schuhwaren, Kohlen, Treibstoffen, Haushaltswaren waren kontingentiert, d. h. aus der anfallenden laufenden Produktion wurden den Verteilern prozentual von früheren Vergleichslieferungen nur verhältnismäßig geringe Mengen geliefert. Der Einzelhandel besaß keine großen Lagerbestände, außerdem war der Verschleiß bei Spinnstoffen und Schuhwaren bei der überwiegend ländlichen Bevölkerung größer als bei der Stadtbevölkerung. Auch dieser Tatbestand mußte die Versorgungslücken noch vergrößern. Die Engpässe in der Versorgung mit Hausbrand brachten der Verwaltung besondere Mühen und Mehrarbeit.
Abb. 8
Groß Wartenberg, Dachreiter der Kath. Stadtpfarrkirche

Dank der Besonnenheit und Bescheidenheit der Bevölkerung konnten aber alle Aufgaben gelöst werden. Als dann aus den luftgefährdeten Gebieten Deutschlands die Bombengeschädigten der Industriegebiete und Großstädte auch in unseren Kreis einströmten - bar jeder Habe -, verzichtete die einheimische Bevölkerung für einen längeren Zeitraum auf die ihnen zustehenden Zuweisungen an Spinnstoffen, Schuhwaren, Haushaltswaren u. ä., um zunächst den Geschädigten vorrangig helfen zu können, einen neuen Anfang zur Schaffung eines neuen Heimes zu finden. Die Versorgungsanstrengungen der Kreisverwaltung fanden wesentliche und verständnisvolle Unterstützung durch Groß- und Einzelhandel, Transport-Unternehmen und Versorgungsbetriebe. Auch das Personal der Verwaltung arbeitete fleißig und sorgte dafür, daß immer alles zur rechten Zeit an Ort und Stelle war.
Als die Grenzen nach Polen, nach dem Einmarsch der deutschen Truppen fielen, gab es eitel Freude, die allerdings bald getrübt werden sollte. Die seit der Abtrennung wirtschaftlich nach Osten abgeschlossene Kreisbevölkerung griff zunächst mit Freuden alte Geschäftsverbindungen auf, die aber leider im Zuge der auch dort eingeführten Bewirtschaftungsmaßnahmen bald zum Erliegen kamen. übrig blieb nur die Möglichkeit für den Einkauf sogenannter unbewirtschafteter Verbrauchsgüter, die jedoch für die Bevölkerung von geringer Bedeutung waren. Die Hoffnung wieder eine Wirtschaftseinheit - wie vor der Abtrennung - zu werden, schwand, als höheren Orts entschieden wurde, daß das zurückgewonnene Gebiet während des Krieges nicht dem Kreisgebiet angegliedert werden würde. Am 20. Januar 1945 kam der Befehl zur Räumung des Kreises. Alle, die in den beiden Kriegsämtern der Verwaltung mitgearbeitet haben, werden sich trotz der Schwierigkeiten die die Arbeit damals mit sich brachte, sicher gern an jene Zeit erinnern, in der zum Wohle und zur Besserung der Versorgungslage der gesamten Kreisbevölkerung in einer echten Notzeit alles getan wurde, was zu tun möglich war.

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