Die Buchbinderfamilie Fischer in Groß Wartenberg

Zusammengetragen von Josef Fischer-Bernard

Glöckner
Glöckner

Carl Ludwig Fischer war in die Fußstapfen seines Vaters getreten und hatte gutes Auskommen mit seiner Buchbinder-Werkstatt. Von seinem Vater hatte er auch den Dienst als Glöckner der katholischen Pfarrkirche in Groß Wartenberg übernommen.

In seiner Werkstatt fertigte er auftragsgemäß neben seinen Bindearbeiten allerlei Schachteln und Briefumschläge an.

Auf dem Kindelmarkt, der drei Tage vor Weihnachten begann und auf dem in vielen Buden die verschiedensten Dinge feilgeboten wurden, verkaufte Emma in ihrer Bude von Carl Ludwig Fischer hergestellte Dinge wie Gebetbücher, Heiligenbildchen, Hefte, Lesebücher, Federkästen, und Hampelmänner, aber auch Schultaschen, Schiefertafeln, Schieferstifte und dergleichen. In späteren Jahren haben die Kinder bei dem Aufbau und Abbau der Bude und beim Verkauf geholfen.

Als Glöckner hatte Carl Ludwig Fischer an der jährlichen Collende teilzunehmen. Das war ein Umgang mit Pfarrer, Glöckner und Messdienern nach dem Fest Dreikönige, bei dem von Haus zu Haus gegangen wurde. Dabei wurden auch entfernte Bauernhöfe und alle umliegenden Ortschaften besucht. Häufig fuhr ein Bauer die Gruppe mit einem Pferdeschlitten zum nächsten Bauern.

Die Collende selbst bestand darin, dass die Messdiener nach dem Betreten eines Wohnhauses ein Dreikönigslied sangen, danach der Pfarrer die einzelnen Stuben segnete und der Glöckner zum Abschluss mit weißer Kreide die Buchstaben C + M + B und die Jahreszahl an die Wohnungstür schrieb. Meistens musste ein Imbiss eingenommen werden, der Pfarrer erhielt eine kleine Geldspende, Glöckner und Messdiener erhielten Naturalien zum Mitnehmen. Da es sich um ein Grenzgebiet handelte, sprachen einige Bauern deutsch, andere polnisch. Dem entsprechend wurde das Lied entweder auf deutsch oder polnisch gesungen, der Segen des Pfarrers wurde ohnehin auf lateinisch gesprochen.

Am 9. Oktober 1871 wurde Martha als erstes Kind von Carl Ludwig Fischer und Emma geboren. Martha war häufig krank und wollte anfangs nicht recht gedeihen. Sie heiratete mit fast 24 Jahren Hugo Groß in Klein Zöllnig und starb kurz vor ihrem 35. Geburtstag am 17.  September 1906.

Am 12. Juli 1873 wurde Antonie als zweites Kind, am 9. April 1875 Karl Maria als drittes Kind von Carl Ludwig Fischer und Emma geboren.

Antonie wurde Toni genannt und war der Liebling der Großmutter Johanna Hübner, die mit ihrem Mann Franz Hübner in einer kleinen Stube oben im Glöcknerhaus wohnte.

Als Karl Maria laufen konnte, wurde er der Liebling seines Großvaters Hübner. Karl verbrachte viel Zeit bei seinem Großvater, der ihm das Angeln, das Vogelfangen und andere Dinge beibrachte, die ein Junge wissen oder können wollte. Die gefangenen Fische machte der Großvater selbst zurecht und beide verspeisten die Fische gemeinsam.

Wenn die aus Stroh geflochtenen Läden vor den beiden kleinen Fenstern heruntergelassen waren, der Wind zwischen dem alten Glockenturm und dem Glöcknerhaus heulte und die Strohläden klappern lies, da nahm der Großvater den Jungen fest in den Arm und erzählte dem kleinen Karl Maria die herrlichsten Geschichten.

Carl Ludwig Fischer und Emma hatten mit den drei Kindern Martha, Toni und Karl viel Mühen neben der vielen Arbeit in Haus, Werkstatt und bei den Glöcknerdiensten, aber auch viel Freude. Und stolz waren die Eltern auf ihre Kinder, wenn sie sonntags fein gekleidet in die Kirche gingen. Die Kinder trugen nur sonntags Schuhe oder Stiefel, wochentags aber mussten die Kinder barfuss gehen.

Am 15. August 1880 wurde den Eltern Carl Ludwig Fischer und Emma ein weiterer Sohn, Franz Maria, geboren.

Carl Ludwig und Emma waren fromme Leute. Wenn um 18 Uhr die Abendglocke läutete, kniete die ganze Familie nieder um den „Angelus“ zu beten. War die Familie im Garten, so gingen alle in die Laube, um das Gebet vor einem Kreuz zu sprechen, das dort an der Wand hing. Lagen die Kinder schon im Bett und konnten nicht einschlafen, dann sahen sie manchmal ihre Mutter durch die Tür zur Wohnstube, wie sie vor dem Tisch kniete, ihr Haar ordnete und dabei aus ihrem „Rosenkranzbüchel“ betete.

Am 27. September 1880 waren Carl Ludwig Fischer und Emma zehn Jahre verheiratet. Aus diesem Anlass ließen sie in Breslau zwei blaue Tassen mit goldener Aufschrift fertigen. Auf einer stand: „Carl“, auf der anderen „Emma“, auf den Untertassen stand „den 27. September 1880“. Die Tassen sind bei Kriegsende 1945 wie so vieles verloren gegangen.

Karl Maria kam Ostern 1881 in die Schule. Jetzt brauchte Großvater Hübner sich wenigstens vormittags nicht um den Jungen zu kümmern und hatte ein wenig Ruhe, denn er kränkelte inzwischen und bedurfte der Ruhe und Pflege.

Am 1. August 1883 starb Großvater Franz Hübner nach großen Schmerzen in seinem Stübchen im Alter von 76 Jahren.

Carl Ludwig Fischer und Emma hatten ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn und bekamen häufig Besuch. All diejenigen, die mit einem Kleinkind zur Taufe kamen, warteten bei Carl Ludwig Fischer und Emma in der Stube, bis der Pfarrer Zeit für die Taufe hatte. Außerdem kamen viele arme Leute, die von Emma eine heiße Suppe bekamen.

Wenn die Familie zusammen war und es sich ergab, erzählte Carl Ludwig Fischer von den Erlebnissen seiner Wanderschaft und andere für die Kinder interessante Geschichten.

Martha hatte im Jahre 1885 die Schule verlassen und half daraufhin der Mutter Emma im Haushalt.

Am 6. November 1886 wurde Vincens Maria als weiterer Sohn von Carl Ludwig Fischer und Emma geboren. Groß war die Freude der Eltern und Geschwister. Weil Martha zu Hause war, konnte sie sich auch viel mit dem kleinen Vincens beschäftigen.

Im Jahre 1887 wurde Antonie aus der Schule entlassen und ging zur Ersten Heiligen Kommunion. Danach hatte Emma eine weitere Hilfe im Haushalt, obgleich die Eltern auch danach trachteten, den Kindern die Zukunft zu sichern.

Ab Ostern 1888 ging Karl Maria in das Gymnasium in Breslau. Anfang des Jahres 1889 kam Mutter Emma nach Breslau, um ihren Sohn Karl Maria bei dem Domkapellmeister Greulich als Sänger im Domchor anzumelden. Nach einer kleinen Gesangsprobe wurde er in den Domchor aufgenommen. Nur so war es möglich, die Aufnahme des Jungen in das Fürstbischöfliche Knabenkonvikt zu beantragen, wo er freie Kost und Wohnung hatte. Mit der Versetzung in die Quinta wurde Karl Maria Ostern 1889 in das Knabenkonvikt aufgenommen. Die Eltern waren jetzt die Sorge des Unterhaltes los, aber die Ernährung im Knabenkonvikt war sehr schlecht, in den Betten lebten Wanzen, im Winter gefror das Waschwasser in den Waschschüsseln. Erst nach dem Jahre 1900 wurden viele Dinge verbessert.

Am Montag nach der Beerdigung von Marie Wilhelmine geborene Schröder in Glogau besuchte Ludwig Maximilian Fischer den Karl Maria in Breslau im Knabenkonvikt und schenkte Karl Maria ein Fünfmarkstück. Damit bezahlte dieser seinen Schwimmunterricht, denn die Eltern konnten ihm dafür kein Geld schicken.

Im Monat darauf ging Karl Maria zur Ersten Heiligen Kommunion. Seine Eltern Carl Ludwig Fischer und Emma waren nachmittags nach Breslau gekommen. Dort trafen sie sich bei Onkel Hermann, die Eltern fuhren gegen 18 Uhr wieder heim nach Groß Wartenberg.

            Carl Ludwig Fischer und Emma feierten am 27. September 1895, an einem Freitag, mit vielen Gästen das Fest ihrer silbernen Hochzeit. Am Tag darauf, am 28. September 1895, fand die Hochzeitsfeier von Martha mit Hugo Groß statt. Da die Wohnung der Eltern für die Feier nicht ausreichte, wurde das Fest im Klassenraum gegenüber gefeiert. Es waren viele Verwandte aus Breslau und aus Berlin angereist.

Auf dem Weg in die Kirche streute der kleine Vincens Blumen. Abends kam der Nachbar Jacob und unterhielt die Gäste mit seinem Gitarrenspiel.

Im April 1905 wurde mit der Renovierung der Kirche in Groß Wartenberg begonnen. Für Carl Ludwig Fischer und Emma bedeutete dies viel zusätzliche Arbeit, musste doch ständig der Staub und Schmutz entfernt werden.

            Emma geborene Hübner schreibt am 9. März 1916 für Ottilie in einem Brief, der als Glückwunschbrief zum Geburtstag ihres Enkels Wolfgang geschrieben war:

Liebe Schwägerin! es tut mir leid, dass Du krank bist. es sind nur deine Nerven. Du mußt mehr essen. Laß dir doch für 10 pf China tropfen holen, die machen Hunger u Appetit. und viel schlafen ich esse jetzt immer ein rohes Ei, habe für Euch auch welche gekauft, aber mit der Post schicken wir keine holt sie euch. jezt ist die Graupe schon 60 u, 70 pf. gut dass wir die gleich soviel nahm. wen wir nicht so schnell waren mit dem Einkaufen jetzt wars vorbei. heut war ich beim Arzt. hat mir verschrieben um mein Herzklopfen u. Schmertzen werden sich geben ich hoffe. so eben geh ich wieder wegen Dir. die Fleischer abpatruln. wie viel Briefe sind schon an all Dörfer abgegan, nur wegen euch. aber nicht bekom. nu woln wir ein Schwein kaufen u zur Hälfte schlachten, macht uns halt wieder viel schärerei.(genug).

Am 17. Oktober 1916 schreibt Carl Ludwig Fischer:

Alle Lieben! Besorgt sofort den Bezugsschein, Eisenkram 3. für 3 Centner Kartoffeln. Es ist in diesen Tagen frei zu senden.

Gruß Euer Großvater.

(Emma ergänzt den Brief:)

Fr. Silinski holte sich eben 7 Mk. hat was besorgt, wißt schon, hatte die K schon wider in Keller tragen laßen doppelte Arbeit. Sonntag brennt bei uns das erste mal Gas. Toni holt eben ein Ofen. mir geht es nicht gut. Schmerzen verlassen mich nicht mehr.

Mama.

Am Thomastag 1916 beging Carl Ludwig Fischer sein goldenes Dienstjubiläum als Glöckner an der katholischen Kirche in Groß Wartenberg. Die Familie war sehr enttäuscht darüber, dass weder Erzpriester, noch Kirchenvorstand oder andere Persönlichkeiten aus diesem Anlass ein Wort den Dankes oder Lobes fanden. So feierte die Familie im Familienkreis dieses 50-jährige Jubiläum.

Es war Krieg. Carl Ludwig Fischer und Emma, Toni und Käthe waren schon früh in die Kirche gegangen. Vincens und Franz konnten nicht kommen.  Hildegard, die Tochter von Franz, war bei Guder in Groß Wartenberg einquartiert. Mit dem Frühzug gegen halb neun kamen Karl Maria mit Ruth, Wolfgang und Hubert sowie Hermann Fischer aus Bad Kudowa in Groß Wartenberg an.

Agnes hatte die Kinder sonntäglich aber auch winterlich angezogen. Toni hatte inzwischen zwei rote Ministrantenröckchen mit weißen Chorhemdchen besorgt. Sie nahm Wolfgang und Hubert in die Küche und machte aus ihnen 2 Ministranten während Carl Ludwig Fischer und Emma auf dem Sofa Platz nehmen mussten.

Dann kamen die beiden Kinder in die Stube, wo zunächst Wolfgang, dann Hubert und danach Ruth Gedichte vortrugen.

            Groß war die Freude von Carl Ludwig Fischer und Emma, als die Kinder die Gedichte mit kindlicher Betonung, aber laut und verständlich vortrugen. Immer wieder wurden sie von ihren Großeltern umarmt.

            Toni hatte an diesem Tage für das leibliche Wohl gesorgt, damit auch Emma sich ganz der Feierlichkeit hingeben konnte.

In dem Kriegsjahr 1917 ist Vincens Vizefeldwebel bei dem militärischen Wetterdienst in Darmstadt, später in Bukarest. Karl Maria ist in Gleiwitz, dann in Ratibor. Carl Ludwig Fischer schreibt an seinen Sohn Karl Maria:

Gr. Wartenberg, d. 5.12.17

Mein lieber Sohn! Deinen l. Brief haben wir erhalten und uns gefreut, dass Du noch munter bist, wenn man Deinen Worten glauben kann. Es mag Dir ja oft sehr schwer fallen, doch die Hoffnung auf Frieden ist ja um mehrere % gestiegen. Ich hätte schon eher geschrieben, doch am Montage hatten wir Ewige Anbetung, nun geht’s auf M. Empfängnis zu, da giebts immer zu tun. Die Rorate ist um 6 Uhr, das ist doch sehr früh für mich. Ich muß doch schon um 5 aufstehn. Der arme Vincens ist nun in Bucarest, nun die Rumänen schließen sich ja auch dem russischen Friedensangebot an, da wird’s wohl endlich Ruhe werden. Toni und Käthel füttern fleißig. Es soll ja um Weihnachten geschlachtet werden. Gestern hat es tüchtig geschneit, da haben wir viel an Dich gedacht. Mama hat immer noch mit ihren Schmerzen zu tun. Es ist schrecklich, was sie leiden muß. Nun trägt auch der Winter viel dazu bei, da sie doch in die Luft nicht mehr kommt. Dein Dienst in Ratibor ist wohl derselbe wie in Gleiwitz. In Ratibor ist ein Bruder von Deiner Mutter begraben, Heinr. Hübner, er war bei Sobtzick.

(Emma ergänzt den Brief mit zittriger Schrift)

vor Weihnachten kriegs du nichts mehr von mir ein Kuß mir gehst immer schlechter die Beine zittern, Mutter.

(Auch Toni ergänzt den Brief)

Lieber Karl! Da der Paketverkehr gesperrt wird, schicken wir Dir noch schnell unser Weihnachtspäckchen. Den Tabak laß Dir schmecken. Den Kopfschützer wirst Du wohl nötig haben. Alles übrige wenige laß Dir schmecken, es ist alles eigenes Fabrikat. Eben kommt Dein Brief! Ja, lieber Bruder, der Krieg fordert auch von Dir sehr viel. Habe nur Geduld. Opfere alles dem lieben Gott auf. Er legt uns nicht mehr Kreuz auf, als wir ertragen können. Andere Menschen habens noch viel schwerer u. haben nicht einmal den Trost unserer lieben hl. Kirche. Ich hoffe, dass Du bis Weihnachten schon in Breslau bis. Der liebe Gott wird schon helfen. Das hl. Herz Jesu ist noch niemals umsonst angefleht worden. Deine Kinder werden Dirs schon erbitten. Pflege Dich nur so gut Du kannst, spare nicht etwa noch. Setze ganz ruhig ein paar Mark zu. Später kannst Dus wieder einbringen...         ...

Uns geht’s Gott s. Dank gut. Jeder tut seine Arbeit, das Essen schmeckt u. so sind wir zufrieden. Mama muß sich als Extraerholung 3 mal täglich ½ Stunde zum Schweindel an den Stall setzen. Allein kanns nicht sein, sonst wirfts das Futter um. Wie gesagt, es hat jeder seinen Dienst. Käthel kommt abends ½ 7 dann noch schnell in die Kriegsandacht und nachher füttern und dann noch 1 Stunde nähen u. um 10 zu Bett. Wir haben Dich viel in Gedanken. Sei recht herzlich gegrüßt von uns allen, Toni.

Im Jahre 1918 schrieb Toni an Karl Maria und Agnes nach Breslau folgenden Brief:

Ihr Lieben alle! Erschreckt nur nicht etwa über den Gesundheits- oder Krankheitszustand unserer l. Eltern. Sie sind nicht sterbenskrank, aber sie sind schwach und Mama verlangt schon immerfort nach Dir, lieber Bruder. Papa ist ziemlich teilnahmslos, weil ihn das Asthma immerzu quält. Wenn Du also, lieber Bruder, herkommen könntest, würdest Du die Eltern sehr erfreuen und auch ich freue mich, Dich wieder mal zu sehen. Käthel hat bald, nachdem sie mit Dir gesprochen, diesen Reiseerlaubnisschein noch schnell herausgeschlagen. Sieh also zu, dass Du mal herkommst. Ich habe wenig Zeit zum schreiben, weil die alten Herrschaften fortwährend Wünsche haben. Papa ist auch in der Nacht s. unruhig, weil er so schwer hört, denkt er, wir hören auch nichts. Gut, dass ich Käthel zur Seite habe. Die Züge verkehren ab Breslau früh 6 Uhr u. abds. 6 Uhr und von hier früh 7 Uhr und nachmittags ½ 4 Uhr.

Recht herzliche Grüße Euch allen Toni.

Am letzten Sonntag im Dezember 1918 fuhr Karl Maria nach Groß Wartenberg. Seine Mutter Emma Fischer lag in der kleinen Schlafstube im Bett. Sie stand aber gegen Mittag aus dem Bett auf. Seinen Vater Carl Ludwig Fischer hatte Toni in die Wohnstube gebettet, dort wo sonst das Sofa stand.

Carl Ludwig Fischer war sehr schwach. Die Füße waren ihm mal kalt und dann wieder heiß. Zusätzlich hatte er mit einem Leistenbruch zu kämpfen. Einige Male machte er die Augen auf und dann hielt er Karl Maria an der Hand. Karl Maria hatte seinem Vater einige Asthmazigaretten mitgebracht, aber er wollte sie nicht. Karl Maria zündete seinem Vater eine Zigarre an und dieser machte zwei Züge, dann nahm Karl Maria die Zigarre wieder fort.

Kurze Zeit war Carl Ludwig Fischer bei Besinnung, machte seine Augen aber nur wenig auf. Mittags kam der Kantor Franzkowski, sich nach Carl Ludwig Fischer zu erkundigen. Carl Ludwig Fischer hatte es wohl verstanden, denn er bedankte sich leise für die Nachfrage. Nahrung nahm er keine zu sich. Seine Frau Emma saß in der Ecke auf einem Stuhl und jammerte über ihre Schmerzen. Toni betreute ihre Eltern mit himmlischer Geduld, soweit das möglich war.

Abends musste Karl Maria Abschied nehmen und mit der Ahnung, seinen Vater nicht mehr lebend wieder zu sehen, zurück nach Breslau fahren.

Am 2. Januar 1919 schreibt Franz an seinen Bruder Karl Maria:

Gr. W. d. 2.1.19          2 Uhr vorm.

Lieber Karl!     Unser lieber Vater hat gestern abend die letzte Oelung bekommen. Ich habe mit Toni bis Mitternacht bei ihm gesessen und vor etwa einer Stunde hat mich Toni wieder gerufen, da doch eine Veränderung bemerkbar war. Es ist mir jetzt gelungen, Toni zu bewegen, einige Stunden zu schlafen. Papa hat sich wieder etwas erholt und schläft ruhig. Meiner Ansicht nach können ihm noch etwa 2 Wochen schweren Leidens bevorstehen, wenn nicht bei dieser zugigen Wohnung etwa noch eine Verschlimmerung eintritt. So traurig es ist, haben Toni und ich doch die allernächsten Anordnungen im Sinne unseres lieben Vaters besprochen und wir bitten Dich, bald nach Empfang der schrecklichen Nachricht, mit der wir doch nun einmal rechnen müssen, die Anzeigen zu übernehmen und zu besorgen. Wir sind nach reiflicher Überlegung aus vielerlei Gründen doch zu der Einigung gelangt, dass eine Anzeige in der Schlesischen Volkszeitung, eine im Groß Wartenberger Kreisblatt und eine im Stadtblatt erscheint. Den Text überlassen wir Dir, nur bittet Toni, dass unbedingt im Texte von unserm „hochverehrten Vater“ gesprochen wird, und dass auch die Bitte ausgesprochen wird, dem Wunsche unseres geliebten Vaters zu entsprechen und Kranzspenden zu unterlassen, aber seiner dafür im Gebete zu gedenken. Auch besondere Anzeigen sollst Du in Breslau drucken lassen und gleich von dort aus absenden. Toni meint, die wichtigsten Adressen würdest Du wissen und gab mir als noch nötige folgende an: ich bitte Dich, aus dem Adreßbuch zu ergänzen, was fehlt. Brieflich sollen benachrichtigt werden: H. Martitz.  R. Groß.  Fr. Adamek.  Hoffmann. Menzel.  Czoyor.  Reiß.  Hübner.        Martha Molke.  Franziska Molke.  Clara Molke.  Pfarrer Molke.  Heinrich Hübner.  Pauline Messner.  Kaplan Franzkowski.  Bruno Troska.  Frau Völz.  Pache.  Hermann Fischer.  Alfred Czesny.  Wanzek.  Helbig.  Fr. Dittrich, Brieg, Guder, Militsch A. Gather, Coblenz.  V. Zembald. Lenchen Scheer. Was wir vergessen haben, bitten wir, zu ergänzen. Papa war eben munter und ganz bei Besinnung. In 3 Stunden muß ich mit schwerem Herzen abfahren. Die arme Toni! Ich lasse sie noch schlafen, bis ich fort muß. Herzl. Franz.

Am 3. Januar 1919 verstarb Carl Ludwig Fischer nach langem Leiden im Alter von 79 Jahren und wurde am 7. Januar vormittags um 10 Uhr auf dem Friedhof in Groß Wartenberg beerdigt.

            Toni schreibt im Februar 1919 an Karl Maria:

Unsere Lieben alle!

Ihr werdet ganz sicher denken, dass ich nachlässig im Schreiben bin. Diesmal trifft dies aber nicht zu. Es ist schon sehr lange meine Absicht zu schreiben, aber es bleibt mir wirklich nicht viel Zeit übrig. Zunächst danke ich Euch im Namen Mamas für Eure Liebe. Sie läßt Euch aber sehr bitten, nicht wieder Süßigkeiten zu schicken. Eigentlich erwartete sie, dass jemand von Euch einmal herkommen würde. Seit einigen Tagen ist sie wieder sehr schwach und sehr unruhig. Morgen kommt der Arzt noch einmal sehen wegen den Schmerzen im Leibe und im Rücken. Manchen Tag lassen ja die Schmerzen etwas nach und manchmal schläft Mama in der Nacht ganz gut, wenn sie auch 3mal wach wird. Seit einigen Tagen müssen wir ihr die Bettstelle jeden Abend in die Stube tragen. Die Schlafstube sieht sie sich nicht an, das ist ein Mordloch, sagt sie. Ich muß natürlich dicht bei ihr liegen u. so schlafe ich halt auf dem Sofa. Außer Fleisch u. Wurst ißt sie nur ungern einen Bissen Brot oder etwas Milch. Selbst von der Krankenschwester läßt sie sich nichts machen; ich muß Tag u. Nacht um sie sein. Die Füße sind so müde, beinahe wie die Hände. Weder ins Bett noch heraus könnte sie sich helfen. Die Arme sind auch lahm u. da muß ich halt immerfort helfen. Gott sei Dank, dass wir die Kirche los sind, sonst würde ichs nicht aushalten. Die Sprache versagt manchmal ganz u. Manchmal kann sie noch schimpfen. Gott sei Dank, dass ich Käthel habe die mir so beisteht u. Großmutter immer wieder mal aufheitert. Wir hieltens vor Bangigkeit nicht aus ohne das Mädel. Über Vincens hat sich Mama am vorigen Sonntag sehr gefreut; ja wenn doch Kattowitz nicht so weit wäre. Wie geht’s bei Euch? Ihr seid doch hoffentlich alle mobil. Für Tante Ottilie schicke ich das Bild von Großvatel mit. Wir haben verschiedenes in Breslau zu besorgen, da wird wohl Käthel mal fahren müssen, denn ich kann unmöglich fort. Wir wollen doch das Geschäft so lange es geht weiterführen. da fehlt verschiedenes. Nun lebt wohl. ich bis sehr müde. Euch alle grüßt herzlich Mama und Toni.

Carl Ludwig Joseph
1862
Carl Ludwig Joseph, geb. 15.08.1839

            Am Ostermontag 1919 vormittags um 11 Uhr 45 verstarb Emma Fischer im Alter von 74 Jahren nach eben solchem Leiden wie ihr Ehemann Carl Ludwig Fischer drei Monate zuvor. Sie wurde am 25. April vormittags um ½ zehn Uhr auf dem Friedhof in Groß Wartenberg begraben.

Das Grab der Eheleute Carl Ludwig und Emma Fischer in Groß Wartenberg wurde noch bis nach 1970 im Auftrag von Guntram Fischer durch den Küster der katholischen Kirche gepflegt, der dafür von Guntram eine Entlohnung erhalten hatte.



Todesanzeige Todesanzeige
Todesanzeige von Karl Fischer
übersicht Vorheriger Teil Aus dem Leben von Carl Joseph Ferdinand Fischer